04. März 2022
Die EU-Innenminister*innen haben erstmalig einen Rats-Beschluss zur Anwendung der sog. Massenzustrom-Richtlinie getroffen. Damit ist in der gesamten Europäischen Union der Weg frei für die Erteilung eines humanitären Aufenthaltstitels für Geflüchtete aus der Ukraine, ohne dass diese zuvor ein Asylverfahren durchlaufen zu müssen. In der Folge haben Schutzsuchende aus der Ukraine europaweit Zugang zu Arbeit, Bildung sowie Sozialleistungen und medizinischer Versorgung.
Für folgende Personengruppen soll die Richtlinie europaweit Anwendung finden:
Darüber hinaus hat Deutschland die Möglichkeit, gemäß Art. 7 der Richtlinie weitere Personengruppen aufzunehmen. Von dieser Gelegenheit sollte die Bundesregierung dringend Gebrauch machen, denn schon jetzt wissen wir, dass viele Drittstaatsangehörige aus der Ukraine hier in Deutschland gestrandet sind und Schutz benötigen. Ob – wie bislang angekündigt – eine großzügige Aufnahme von Drittstaatsangehörigen aus der Ukraine erfolgen wird, werden wir in den nächsten Tagen sehen.
Umsetzung des Ratsbeschlusses in Deutschland
In Deutschland wurde die „Massenzustrom-Richtlinie“ in § 24 des Aufenthaltsgesetzes umgesetzt. Danach kann die zuständige Ausländerbehörde nach Inkrafttreten des Ratsbeschlusses (mit Veröffentlichung im Amtsblatt - dieses Datum ist noch nicht bekannt!) eine „Aufenthaltserlaubnis zum vorübergehenden Schutz“ von i.d.R. einem Jahr erteilen, die bis zu max. 3 Jahren verlängert werden kann.
Personen mit einer Aufenthaltserlaubnis nach § 24 AufenthG haben gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 3a AsylblG Anspruch auf Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz. Laut Informationen aus dem BMI soll dies auch bereits vor dem Inkrafttreten des Beschlusses der EU-Innenminister*innen gelten. Zuständig für die Gewährung dieser Leistungen ist das Sozialamt, Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II bestehen nicht.
Besonderheiten bestehen auch für den Zugang zu medizinischer Versorgung, der in der Regel gemäß §§ 4 und 6 AsylbLG eingeschränkt ist. Zu beachten ist aber § 6 Abs. 2 AsylbLG, wonach Personen, die eine Aufenthaltserlaubnis gemäß § 24 Abs. 1 des Aufenthaltsgesetzes besitzen und die besondere Bedürfnisse haben, wie beispielsweise unbegleitete Minderjährige oder Personen, die Folter, Vergewaltigung oder sonstige schwere Formen psychischer, physischer oder sexueller Gewalt erlitten haben, die erforderliche medizinische oder sonstige Hilfe gewährt werden muss.
Die Verteilung der Schutzsuchenden ist in § 24 Abs. 3 – 5 AufenthG geregelt. Danach gilt der Königsteiner Schlüssel, solange die Bundesländer keine abweichende Vereinbarung treffen. Zumindest Schutzsuchende, die privat unterkommen, werden voraussichtlich nicht verteilt werden. Abschließende Informationen zur Frage der Verteilung werden sich voraussichtlich auch erst in den nächsten Tagen klären. Aus Sicht des Paritätischen müssen jedenfalls bestehende familiäre oder gleichwertige Bindungen der Schutzsuchenden hier in Deutschland bei einer etwaigen Verteilung berücksichtigt werden, um das Ankommen und die Integration der von Krieg und Flucht gezeichneten Menschen zu erleichtern.
Erwerbstätigkeit und der Zugang zu Bildung müssen nach den Vorgaben der Richtlinie gewährt werden. Auch hier gilt es, bei der nun anstehenden Umsetzung in Deutschland möglichst weitreichende Regelungen zu treffen, damit bundesweit die Zugänge zu Kita, Schule, Integrationskursen und Arbeitsmarkt, aber auch allen anderen sozialen und medizinischen Unterstützungsangeboten wirklich sichergestellt werden.
Die Stellung eines Asylantrags ist auch für Geflüchtete aus der Ukraine jederzeit möglich, auch wenn das BAMF aktuell nicht über diese Anträge entscheidet, sondern sie „rückpriorisiert“. Ob eine Asylantragstellung sinnvoller ist als die Inanspruchnahme eines Aufenthaltstitels nach § 24 AufenthG, muss in jedem Einzelfall und unter Inanspruchnahme kompetenter Asylverfahrensberatung entschieden werden.
Viele Detailfragen zum EU-Ratsbeschluss und seiner Umsetzung in Deutschland sind noch offen. Wir werden fortlaufend darüber informieren.