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Sonntag, 06.10.2024 – © migazin
Europäischer Gerichtshof stärkt Schutz von afghanischen Frauen
Die diskriminierenden Maßnahmen des Taliban-Regimes
gegen Frauen in Afghanistan sind grundsätzlich als Verfolgung einzustufen.
Eine konkrete Bedrohung müsse bei Asylprüfung nicht nachgewiesen werden, urteilte der Europäische Gerichtshof.
Einige der von den in Afghanistan herrschenden Taliban verhängten diskriminierenden Maßnahmen gegen Frauen stellen nach Ansicht des Obersten Gerichts der Europäischen Union einen Akt der
Verfolgung dar. Zur Prüfung eines individuellen Asylantrags afghanischer Frauen genüge es, dass EU-Mitgliedsländer lediglich ihre Staatsangehörigkeit und ihr Geschlecht
berücksichtigten, teilte der Europäische Gerichtshof (EuGH)
mit.
EuGH-Urteil auch für Deutschland bindend
Dieser Entscheidung zufolge „können die zuständigen Behörden der EU-Mitgliedstaaten davon ausgehen, dass nicht festgestellt werden muss, dass die Antragstellerin bei einer Rückkehr in ihr
Herkunftsland tatsächlich und spezifisch Verfolgungshandlungen zu erleiden droht“. Internationale Organisationen wie die EU-Asylagentur (EUAA) und das UN-Flüchtlingshilfswerk (UNHCR) hätten
umfassend belegt, dass Frauen unter dem Taliban-Regime gezielt und systematisch unterdrückt würden.
Geklagt hatten zwei afghanische Frauen, denen der Flüchtlingsstatus in Österreich verweigert wurde und die gegen diese Entscheidungen Berufung einlegten. Die Urteile des EuGH sind für die
Mitgliedstaaten bindend und müssen von den nationalen Gerichten in ihren Entscheidungen beachtet werden.
Ministerium prüft Folgen des Urteils
Ein Sprecher des Bundesinnenministeriums teilte mit, man habe das Urteil zur Kenntnis genommen und werde die Folgen prüfen. „Diese Prüfung ist noch nicht abgeschlossen.“
Die Rückkehr der Taliban an die Macht im Jahr 2021 hatte schwerwiegende Auswirkungen auf die Grundrechte der Frauen, von denen einige nach Ansicht des EuGH als „Verfolgung“ einzustufen sind.
„Dies gilt für die Zwangsverheiratung, die einer Form der Sklaverei gleichzustellen ist, und für den fehlenden Schutz vor geschlechtsspezifischer und häuslicher Gewalt, die Formen unmenschlicher
und erniedrigender Behandlung darstellen.“ (dpa/epd/mig)
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Die deutsche Verantwortung für Afghanistan
Vor drei Jahren zogen die Nato-Verbündeten ihre Truppen aus Afghanistan ab. Nicht nur die Evakuierungsmission war chaotisch, auch
der gesamte Einsatz war oft von einem Durcheinander unterschiedlicher Zuständigkeiten geprägt. Ein Rückblick.
Von Lena KöpselMontag, 12.08.2024, Klick zum Original
Mitte August 2021 erlebt die Nato in Kabul ein „Saigon-Szenario“. Die Bilder von verzweifelten Menschen, die sich an
das Fahrwerk einer US-Militärmaschine am Flughafen von Kabul klammern, haben sich in das kollektive Gedächtnis eingebrannt. Die dramatischen Bilder der Evakuierungsmission stehen exemplarisch für
das chaotische Ende der fast 20 Jahre langen Mission in Afghanistan. Seit der Machtübernahme Kabuls am 15. August 2021 haben die Taliban im ganzen Land wieder das Sagen.
Seit rund zwei Jahren arbeiten zwei parlamentarische Gremien die Rolle Deutschlands während des Einsatzes in
Afghanistan auf. Der Untersuchungsausschuss Afghanistan befasst sich vorwiegend mit dem Abzug der Bundeswehr und der Evakuierungsmission. Die Enquete-Kommission des Bundestages, in der auch nicht
parlamentarische Expertinnen und Experten vertreten sind, untersucht die deutsche Rolle in der Nato-Mission von 2001 bis 2021.
„Einer der wesentlichen Gründe für das Durcheinander war sicherlich das fehlende Interesse am Land selbst“, sagt der
Bundestagsabgeord-nete und Vorsitzende des Untersuchungsausschusses Afghanistan, Ralf Stegner (SPD) rückblickend. Die Kenntnisse über Afghanistans ethnische Vielfalt und die komplexen
Machtverhältnisse seien im Westen zu gering gewesen. Zudem hätten sich die Ziele des Einsatzes wiederholt geändert, das habe nicht zuletzt die Zusammenarbeit zwischen den zuständigen Ressorts
erschwert, die teilweise auch eigene Interessen verfolgten.
Lehren gezogen?
Das bestätigt auch der Konfliktforscher Conrad Schetter: „Betrachtet man den gesamten Einsatz, entsteht der
Eindruck, dass die Sicherheit der Soldaten Vorrang hatte, nicht die der afghanischen Bevölkerung“, sagt der Direktor des Bonn International Centre for Conflict Studies (BICC) dem „Evangelischen
Pressedienst“. Die Truppen hätten sich demnach in Kundus und Faizabad „eingeigelt“ und nur selten die Feldlager verlassen. Persönlichen Kontakt mit der afghanischen Bevölkerung habe es kaum
gegeben, sagt Schetter. Die Politik hat Ralf Stegner zufolge bereits erste Lehren aus dem Afghanistaneinsatz gezogen. „Man kann sicherlich schon heute sagen, dass die Bundeswehrmandate des
Bundestags realistischer sind“, sagt der SPD-Politiker. Die Mandatstexte würden im Vergleich zum Afghanistaneinsatz nüchtern gehalten.
Trotz allem
Die wechselnde Zielsetzung des Einsatzes, die Uneinigkeit der deutsch-en Ressorts und die fehlende Kommunikation mit
den internationalen Partnern endete nicht selten in Fehlplanungen. Schetter berichtet, dass es beispielsweise vorkam, dass eine deutsche NGO an einem Ort eine Schule baute, während eine
amerikanische Organisation in derselben Region eine Straße anlegte – jedoch ohne die Schule anzubinden.
Trotz aller Schwierigkeiten haben die internationalen Kräfte Afghanistan nicht völlig zerstört zurückgelassen. „Ein
Großteil der in den vergangenen 20 Jahren aufgebauten Infrastruktur, wie Straßen und Schulen, ist noch intakt“, sagt Schetter, der im vergangenen Jahr selbst in Afghanistan war. In den
afghanischen Ministerien arbeiteten auf der unteren Ebene zudem weiterhin viele Angehörige der alten Regierung. Dadurch funktionierten die Strukturen besser, als man es unter den Taliban erwartet
hätte, sagt Schetter. Auch dürfe man die Zivilgesellschaft nicht vergessen, die sich in den städtischen Gebieten entwickelt hat und die weiterhin für Menschen-, Frauen- und Pressefreiheit
eintritt und sich gegen die rigide Politik der Taliban stellt.
Deutschland trägt Verantwortung
Stegner sieht heute noch eine Verantwortung Deutschlands für Afghanistan, auch aufgrund der „teils dramatischen
humanitären Situation“. Diese werde auch in Zukunft zumindest niedrigschwelligen Kontakt zu den aktuellen Machthabern erfordern. Auch Konfliktforscher Schetter ist sich sicher: „An den Taliban
führt kein Weg vorbei. Entweder man arrangiert sich mit ihnen oder man muss das Land verlassen“. Aber natürlich sei es schwierig, mit den Taliban zusammenzuarbeiten, besonders in Zeiten
feministischer Außen- und Entwicklungspolitik, räumt er ein. Auch laut der Obfrau der Grünen in der Enquete-Kommission, Schahina Gambir, trägt Deutschland eine Mitverantwortung für die aktuelle
Situation in Afghanistan. Sie fordert die Bundesregierung auf, dieser Verantwortung stärker nachzukommen. Die Kürzung der Haushaltsmittel für humanitäre Hilfe, wie vom Finanzminister vorgesehen,
stünden dem entgegen. Gleichzeitig setzt sie sich für eine Weiterführung und Beschleunigung des Bundesaufnahmeprogramms für besonders gefährdete Afghaninnen und Afghanen ein. Derzeit wird in der
Bundesregierung über die Zukunft des Programms gerungen. Für Gambir ist klar: „Die Menschen erneut im Stich zu lassen, kommt nicht in Frage.“ (epd/mig)
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HINTERGRUND
Hinweise für afghanische Flüchtlinge und ihre Berater*innen
21.09.2021
Mit dem Sturz der Regierung von Präsident Ghani und der erneuten Machtübernahme der Taliban hat sich die asyl- und
abschieberelevante Lage in Afghanistan grundlegend verändert. Dieser neuen Situation möchten wir mit den folgenden Beratungshinweisen begegnen. Aufgrund der sich ständig ändernden Lage werden die
Beratungshinweise laufend aktualisiert.
Stand September 2021
NEWS
Abschieben um jeden Preis?
Zum Stand der
Afghanistan-Abschiebungen
AKTUELL KEINE ABSCHIEBUNGEN NACH AFGHANISTAN
Für Dienstag den 03. August 2021 war zuletzt ein Abschiebungsflieger nach Afghanistan vorgesehen. Dieser Flieger
konnte schließlich auf Grund eines Anschlags in Kabul, bei dem 13 Menschen ums Leben kamen, nicht starten und wurde abgesagt. Unmittelbar nach der Stornierung des Fluges hieß es aus
Regierungskreisen noch, dass der Abschiebeflieger »zeitnah« neu terminiert werden solle. Tatsächlich kam es dazu nicht: Mit der Machtübernahme der Taliban am 15. August 2021 wurde die Praxis der
Abschiebungen nach Afghanistan vorerst unterbrochen.
Einen offiziellen Abschiebestopp im Sinne des § 60 a) Abs. 1 AufenthG gibt es aktuell nicht. Derzeit
finden aber keine Abschiebungen nach Afghanistan statt. Ob es zu einem offiziellen Abschiebungsstopp kommen wird bzw. ob und ggf. wann mit einer Wiederaufnahme der Abschiebungen zu rechnen
ist, kann zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht gesagt werden.
Bis zuletzt hat das BAMF jedoch in einem Großteil der Asylverfahren von Afghan:innen lediglich Abschiebungsverbote
erteilt oder Asylanträge sogar komplett abgelehnt
NEWS
Flucht aus Afghanistan
Was Deutschland jetzt machen
muss
BAMF ENTSCHEIDET DERZEIT NUR EINGESCHRÄNKT ÜBER ASYLANTRÄGE
VON AFGHAN:INNEN (»RÜCKPRIORISIERUNG«)
Derzeit hat das BAMF »aufgrund der aktuellen Situation in Afghanistan […] Entscheidungen für Antragsstellende
aus Afghanistan rückpriorisiert«, wie das BAMF bereits unmittelbar vor der Machtübernahme der Taliban verlautbaren ließ. Das heißt, dass über diese Anträge vorerst nicht
entschieden wird.
Ausgenommen davon sind Fälle, in denen das BAMF nach eigenem Dafürhalten internationalen Schutz zuerkennen kann.
Gemeint ist damit, dass das BAMF über Fälle entscheidet, bei denen es auch schon nach bisheriger Lageeinschätzung vor der Machtübernahme der Taliban die Flüchtlingsanerkennung oder subsidiären
Schutz zuerkennen konnte. Bis zuletzt hat das BAMF jedoch in einem Großteil der Asylverfahren von Afghan:innen lediglich Abschiebungsverbote erteilt (diese gelten nicht als internationaler
Schutz, da sie sich auf eine nationale Rechtsgrundlage berufen) oder Asylanträge sogar komplett abgelehnt. Das bedeutet, dass für die meisten Antragsteller:innen ihre Anträge vorerst nicht weiter
bearbeitet und sich die Asylverfahren in die Länge ziehen werden.
THEMA
Das Dublin System
Ausnahmen gelten zudem für Verfahren, in denen die Lage in Afghanistan für die Entscheidung nicht
ausschlaggebend ist, etwa bei Antragsteller*Innen, die sich bereits vor ihrer Ankunft in Deutschland in anderen Staaten Europas befanden, das betrifft ‑Bescheide im sogenannten Dublin-Verfahren.
Eine Neubewertung der Lage durch das BAMF soll erst erfolgen, sobald das Auswärtige Amt seinen bereits
angekündigten neuen Bericht zur Lage in Afghanistan veröffentlicht hat. Wir werden zeitnah darüber informieren.
IN WELCHEN FÄLLEN IST EIN ASYLFOLGEANTRAG RATSAM?
WAS SIND ASYLFOLGEANTRÄGE UND WIEDERAUFGREIFENSANTRÄGE?
Wie das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) nach der Machtübernahme der Taliban über Asylanträge und
Asylfolgeanträge entscheiden wird, ist noch weitgehend unklar.
ÜBERBLICK
Asyl in Deutschland
Als relativ sicher gilt bereits jetzt, dass jenen Personen, die vor einer Verfolgung durch die Taliban geflohen
sind, denen diese Verfolgung auch geglaubt worden ist und deren Asylanträge in der Vergangenheit allein wegen einer sogenannten inländischen Fluchtalternative innerhalb Afghanistans abgelehnt
worden sind, im Falle eines Asylfolgeantrags die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen sein wird. Jedenfalls diesen Personen kann geraten werden, innerhalb von drei Monaten gerechnet ab der
Machtübernahme der Taliban am 15. August 2021 – also bis zum 15. November 2021 Asylfolgeanträge zu stellen. Wenden Sie sich im Zweifel an eine Beratungsstelle oder eine:n Anwält:in.
Weiter sind Asylfolgeanträge dann sinnvoll, wenn sich Personen lediglich im Besitz einer normalen Duldung (auch:
Beschäftigungsduldung, nicht: Ausbildungsduldung!, dazu unten) befinden und kein »Hineinwachsen« in eine Bleiberechtsregelung nach § 25a oder § 25b AufenthG in nächster Zeit ansteht.
In allen anderen Fällen sollte vor einer Asylfolgeantragstellung immer eine individuelle anwaltliche Beratung
erfolgen. Aufgrund der höchst unterschiedlichen asyl- und aufenthaltsrechtlichen Konstellationen, auf die wir im Folgenden näher eingehen, ist nicht geplant einen Musterschriftsatz für
afghanische Asylsuchende zur Verfügung zu stellen.
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HINWEISE
Die wichtigsten Fakten zur Aufnahme aus Afghanistan
nach § 22 Satz 2 Aufenthaltsgesetz
HINWEISE FÜR MENSCHEN, DIE BEREITS IM BESITZ EINER
AUFENTHALTSERLAUBNIS SIND
Einigen Afghan:innen war es möglich im Laufe der letzten Jahre andere humanitäre Aufenthaltserlaubnisse
unabhängig von Asylverfahren zu erhalten oder konnten bereits mit Aufenthaltserlaubnis nach Deutschland einreisen. In Fällen, in welchen Personen über Aufenthaltserlaubnisse nach den §§ 22
(Aufnahme aus dem Ausland: u.a. vorgesehen für Ortskräfte), 23 (Bundes- oder Landesaufnahmeprogramme) oder 25 Abs. 3 bis 5 AufenthG (Aufenthalt aus humanitären Gründen wegen Abschiebungsverbots)
verfügen ist zu beachten, dass diese Aufenthaltstitel im Falle einer Asylantragstellung erlöschen (vgl. § 51 Abs. 1 Nr. 8 AufenthG). Eine Asylantragstellung sollte hier – wenn überhaupt – nur bei anwaltlich geprüften
Erfolgsaussichten für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft oder subsidiären Schutzes in Erwägung gezogen werden.
NEWS
Achtung
Nach Evakuierung
aus Afghanistan keinen übereilten Asylantrag stellen
Ein Asylverfahren kann unter den vorgenannten Umständen ggf. dennoch sinnvoll sein, um den Familiennachzug nach Deutschland zu ermöglichen, der ansonsten bei diesen
Aufenthaltserlaubnissen (ebenso wie bei jenen nach § 25 Abs. 4 a), § 25a Absatz 1 oder § 25b Absatz 1 AufenthG) nur in eng begrenzten Ausnahmefällen möglich und in der Praxis äußerst selten ist
(vgl. § 29 Abs. 3 AufenthG). Dies setzt
voraus, dass Erfolgsaussichten auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft oder subsidiären Schutzes bestehen.
Für Inhaber einer Niederlassungserlaubnis ist der Familiennachzug einfacher
Steht indessen die Erteilung einer Niederlassungserlaubnis nach § 26 Abs. 4 AufenthG bevor, ist auch bei Fällen eines avisierten Familiennachzugs von der Asylfolgeantragstellung abzuraten, da
der Familiennachzug für Inhaber einer Niederlassungserlaubnis keinen Beschränkungen unterliegt und somit einfacher ist. Voraussetzungen für die Erteilung einer solchen Niederlassungserlaubnis
sind der Besitz einer Aufenthaltserlaubnis seit mindestens 5 Jahren, wobei die Zeiten des vorangegangenen Asylverfahrens angerechnet werden. Vorausgesetzt werden weiterhin eine
Lebensunterhaltssicherung und ausreichender Wohnraum. Erleichterte Bedingungen gelten für Personen, die vor ihrem 18. Lebensjahr eingereist sind. Auch hier kann Ihnen eine Beratungsstelle oder
anwaltliche Beratung weiterhelfen.
PERSONEN, DIE EINE AUFENTHALTSERLAUBNIS IN AUSSICHT
HABEn
Bei Personen mit Ausbildungsduldung nach § 60c AufenthG und guten Aussichten auf das Bestehen der Ausbildung ist
von einer Asylfolgeantragstellung abzuraten. Denn sobald das BAMF das Asylfolgeverfahren für zulässig erklärt, ist wieder eine Aufenthaltsgestattung auszustellen. Das hätte zur Folge, dass die
Ausbildungsduldung nicht verlängert werden kann.
Insbesondere wenn das erfolgreiche Ende einer Ausbildung mit einer Ausbildungsduldung bereits abzusehen ist, nach welcher eine Aufenthaltserlaubnis nach § 19d
AufenthG für qualifizierte Geduldete zum Zwecke der Beschäftigung zu erteilen ist (vgl. § 19d Abs. 1a) AufenthG), ist es ratsam, von einer Asylfolgeantragstellung abzusehen. Denn
für die Betroffenen ist es i.d.R. besser schnell eine Aufenthaltserlaubnis zu erhalten, anstatt ein möglicherweise langwieriges Asylverfahren in Kauf zu nehmen und erneut einen unsicheren
Aufenthaltsstatus zu haben.
Ähnlich verhält es sich, wenn eine Person kurz vor Erreichen der Voraufenthaltszeiten für §
25a (Aufenthaltsgewährung bei gut integrierten Jugendlichen und Heranwachsenden) oder § 25b AufenthG (Aufenthaltsgewährung bei nachhaltiger Integration) steht und
die übrigen Voraussetzungen einer dieser Normen erfüllt sind. Auch hier ist der schnelle Erhalt einer Aufenthaltserlaubnis einem weiterem Asylverfahren i.d.R. vorzuziehen.
Die vorangegangenen Beispiele zeigen, dass eine Asylfolgeantragstellung selbst im Falle von Personen, die
lediglich über eine Duldung verfügen, nicht in jedem Falle ratsam ist. Im Zweifel sollte immer der Rat einer Beratungsstelle oder eine:s Anwält:in eingezogen werden!
Ferner ist zu berücksichtigen, dass ein Asylfolgeantrag die Wirkungen des § 10 Abs. 1
AufenthG auslöst. Das heißt, dass vor dem bestandskräftigen Abschluss des damit ausgelösten Asylfolgeverfahrens außer im Falle eines Anspruchs (etwa bei der Geburt eines deutschen
Kindes) regelmäßig keine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden kann. Steht die konkrete Möglichkeit der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis bereits in Aussicht, sollte daher unter Umständen von
einer Asylfolgeantragstellung abgesehen werden, um diese nicht zu gefährden. Diese Wirkung eines
Asylfolgeantrags kann – insbesondere wenn ohnedies nur ein solches Abschiebungsverbot zu erwarten wäre – aber auch umgangen werden, indem statt eines Asylfolgeantrags ein isolierter
Wiederaufgreifensantrag auf Zuerkennung eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 5 oder 7 AufenthG beim BAMF gestellt wird. Im Gegensatz zu einem Asylfolgeantrag werden bei einem isolierten
Wiederaufgreifensantrag nur konkret Abschiebungsverbote und nicht weitere Schutzformen wie der subsidiäre Schutz oder Flüchtlingseigenschaft geprüft. Welcher Antrag in welchem Fall sinnvoll ist
sollte ebenfalls mit einer Beratungsstelle oder mit anwaltlicher Hilfe abgeklärt werden.
FAMILIENNACHZUG SONSTIGER FAMILIENANGEHÖRIGER
Immer wieder erreichen uns Anfragen von Personen, die ihre Familienmitglieder aus Afghanistan nach Deutschland
holen möchten. Es gelten aber nach wie vor die allgemeinen Bedingungen für den Familiennachzug wie der Besitz von gewissen Aufenthaltserlaubnissen sowie die Beschränkung auf die Kernfamilie d.h. Ehegatte und
minderjährige Kinder bzw. Eltern von Minderjährigen.
Rechtlich gibt es lediglich eine Ausnahmeregelung zum Familiennachzug von »sonstigen Familienangehörigen« in
Form des § 36 Abs. 2
AufenthG. Vorgesehen ist ein Nachzug nur in Fällen »zur Vermeidung einer außergewöhnlichen Härte«, welche familiär begründet sein muss. Härtefallbegründend sind danach solche Umstände,
aus denen sich ergibt, dass entweder derim Bundesgebiet lebende oder der nachzugswillige Familienangehörige auf die familiäre Lebenshilfe angewiesen ist, die sich nur im Bundesgebiet erbringen
lässt (z. B. infolge einer besonderen Betreuungsbedürftigkeit). Die hohen Voraussetzungen werden nur in sehr seltenen Fällen erfüllt.
PRO ASYL fordert die Schaffung von Bundes- und Landesaufnahmeprogrammen für Afghan:innen, die u.a. eine Einreise von weiteren
Familienangehörigen ermöglichen würde. Bisher gibt es vonseiten der Bundesregierung jedoch noch keine konkreten Vorhaben in diese Richtung. Sollte sich dies ändern, werden wir zeitnah darüber
informieren.
NEWS
Achtung: Nach Evakuierung aus Afghanistan keinen übereilten Asylantrag stellen!
10.09.2021
PRO ASYL erreichen – zum Teil auf Grund diesbezüglicher Aufforderungen des BAMF – Anfragen, ob Menschen, die aus
Afghanistan evakuiert worden sind und die nicht als Ortskräfte gelten, also z.B. für die Bundeswehr, die GIZ oder andere deutsche Institutionen gearbeitet haben, einen Asylantrag stellen müssen.
Diesbezüglich ist Vorsicht geboten.
DAS BAMF SUGGERIERT, DASS EIN ASYLANTRAG NOTWENDIG SEI – UND
RUDERT KURZ DARAUF SELBST ZURÜCK
Das Bundesamt für Migration & Flüchtlinge (BAMF) hat offenbar in den letzten Tagen Schreiben an aus
Afghanistan evakuierte Menschen verschickt, denen zufolge ihr Visum i.d.R. nur zu einem Aufenthalt für 90 Tage berechtigt und dass die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 22 Satz 2 AufenthG (wie es z.B. für die deutschen
Ortskräfte vorgesehen ist) in ihrem Fall ausscheide.
Aus diesem Grund werden sie auf die Möglichkeit, ein Asylgesuch zu äußern, hingewiesen und dass im Asylverfahren
ihr Aufenthaltsstatus langfristig geklärt werden könne. Im Folgenden wird in besagten Schreiben erklärt, wo und wie man ein Asylgesuch äußern kann, wie die ersten Verfahrensschritte ablaufen,
sowie das mit Beginn des Asylverfahrens die Unterbringung in einer Aufnahmeeinrichtung und die Versorgung nach dem Asylbewerberleistungsgesetz gewährleistet sei.
Das BAMF suggeriert den neu in Deutschland angekommenen Menschen, dass sie dringend einen Asylantrag stellen
müssten – oder ansonsten nicht bleiben könnten. Dies ist aber falsch!
Damit wird den neu in Deutschland angekommenen und noch unter dem Eindruck der dramatischen Evakuierungsaktion
stehenden Menschen suggeriert, dass sie dringend einen Asylantrag stellen müssten – oder ansonsten nicht in Deutschland bleiben könnten. Dies ist aber falsch und kann sogar nachteilige
Folgen haben!
Um die Sache für die Betroffenen noch verwirrender zu machen: In einigen Fällen hat das BAMF die Angeschriebenen
nun in einem zweiten Schreiben darum gebeten, die Aufforderung zur Asylantragstellung als gegenstandslos zu betrachten. Diese Schreiben waren mit dem Hinweis versehen, dass im konkreten Fall noch
keine abschließende Entscheidung über eine Aufnahmezusage nach § 22 Satz 2 AufenthG ergangen sei.
REGELMÄSSIG ANSPRUCH AUF ERTEILUNG EINER AUFENTHALTSERLAUBNIS NACH § 22
AUFENTHALTSGESETZ
Ganz klar ist: Evakuierte Personen mit Visa nach § 22 AufenthG sollten nicht vorschnell einen Asylantrag
stellen. Es ist zwar richtig, dass das erteilte Visum zunächst nur für 90 Tage gültig ist – ein Grund zur Eile oder gar einer überstürzten Asylantragstellung besteht jedoch nicht, im Gegenteil.
Denn bei einer Aufnahme aus dem Ausland im Rahmen des § 22 AufenthG ist bereits vor der Visumserteilung eine besondere Schutzbedürftigkeit der Betroffenen festgestellt worden. Ergo ist in der
Regel davon auszugehen, dass Personen, die ein Visum nach § 22 AufenthG erhalten haben, im Anschluss auch eine Aufenthaltserlaubnis nach § 22 AufenthG erhalten sollten.
Schließlich geht es sowohl bei der Visaerteilung als auch bei Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis um die
gleichen tatbestandlichen Voraussetzungen. Evakuierte sollten sich also zunächst innerhalb des Gültigkeitszeitraums des Visums an die für sie zuständige Ausländerbehörde richten und dort
einen Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 22 AufenthG stellen. Sollte dieser Antrag abgelehnt werden, kann – nach Prüfung der Rechtmäßigkeit einer solchen Entscheidung
– immer noch ein Asylantrag gestellt werden.
ASYLANTRÄGE FÜHREN ZUM ERLÖSCHEN DES ERTEILTEN VISUMS –
BEI UNGEWISSEN ERFOLGSAUSSICHTEN
Hinzu kommt: Im Falle einer Asylantragstellung erlischt das nach § 22 AufenthG erteilte Visum
gemäß § 55 Abs. 2 AsylG. Wurde bereits eine
Aufenthaltserlaubnis erteilt, so erlischt auch diese im Falle der Stellung eines Asylantrags nach § 51 Abs. 1 Nr. 8 AufenthG.
Es ist noch unklar, ob das BAMF seine bislang äußerst restriktive Entscheidungspraxis zu Afghanistan
revidieren wird.
Überdies dürfe es in vielen Fällen auch deshalb nicht ratsam zu sein, einen Asylantrag zu stellen, da derzeit
leider noch unklar ist, ob das BAMF seine bislang äußerst restriktive Entscheidungspraxis revidieren wird und den nötigen Schutz erteilen wird.
VOR EINEM MÖGLICHEN ASYLANTRAG UNBEDINGT FACHLICHE BERATUNG
EINHOLEN!
Sollte trotzdem in
bestimmten Einzelfällen ein Asylantrag als sinnvoll oder notwendig erachtet werden, bspw. weil es anhand der individuellen Umstände sehr gute Chancen auf den (besseren) Flüchtlingsstatus geben
könnte oder weil enge Angehörige im Rahmen des Familiennachzugs nachgeholt werden sollen, sollten die Betroffenen unbedingt vorherige fachliche Beratung bei einer Flüchtlingsberatungsstelle
oder einer Anwältin / einem Anwalt aufsuchen, um mögliche Nachteile zu vermeiden.
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