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Sonntag, 06.10.2024 – © migazin

 

Europäischer Gerichtshof stärkt Schutz von afghanischen Frauen

Die diskriminierenden Maßnahmen des Taliban-Regimes

gegen Frauen in Afghanistan sind grundsätzlich als Verfolgung einzustufen.

 Eine konkrete Bedrohung müsse bei Asylprüfung nicht nachgewiesen werden, urteilte der Europäische Gerichtshof.

Einige der von den in Afghanistan herrschenden Taliban verhängten diskriminierenden Maßnahmen gegen Frauen stellen nach Ansicht des Obersten Gerichts der Europäischen Union einen Akt der Verfolgung dar. Zur Prüfung eines individuellen Asylantrags afghanischer Frauen genüge es, dass EU-Mitgliedsländer lediglich ihre Staatsangehörigkeit und ihr Geschlecht berücksichtigten, teilte der Europäische Gerichtshof (EuGH) mit.

EuGH-Urteil auch für Deutschland bindend

Dieser Entscheidung zufolge „können die zuständigen Behörden der EU-Mitgliedstaaten davon ausgehen, dass nicht festgestellt werden muss, dass die Antragstellerin bei einer Rückkehr in ihr Herkunftsland tatsächlich und spezifisch Verfolgungshandlungen zu erleiden droht“. Internationale Organisationen wie die EU-Asylagentur (EUAA) und das UN-Flüchtlingshilfswerk (UNHCR) hätten umfassend belegt, dass Frauen unter dem Taliban-Regime gezielt und systematisch unterdrückt würden.

Geklagt hatten zwei afghanische Frauen, denen der Flüchtlingsstatus in Österreich verweigert wurde und die gegen diese Entscheidungen Berufung einlegten. Die Urteile des EuGH sind für die Mitgliedstaaten bindend und müssen von den nationalen Gerichten in ihren Entscheidungen beachtet werden.

Ministerium prüft Folgen des Urteils

Ein Sprecher des Bundesinnenministeriums teilte mit, man habe das Urteil zur Kenntnis genommen und werde die Folgen prüfen. „Diese Prüfung ist noch nicht abgeschlossen.“

Die Rückkehr der Taliban an die Macht im Jahr 2021 hatte schwerwiegende Auswirkungen auf die Grundrechte der Frauen, von denen einige nach Ansicht des EuGH als „Verfolgung“ einzustufen sind. „Dies gilt für die Zwangsverheiratung, die einer Form der Sklaverei gleichzustellen ist, und für den fehlenden Schutz vor geschlechtsspezifischer und häuslicher Gewalt, die Formen unmenschlicher und erniedrigender Behandlung darstellen.“ (dpa/epd/mig)

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Am dritten Jahrestag der Machtergreifung der Taliban gilt mehr denn je: Afghanistan ist nicht sicher

 

Am dritten Jahrestag der Machtübernahme in Afghanistan fordert der Flüchtlingsrat Niedersachsen gemeinsam mit PRO ASYL und den Flüchtlingsräten der übrigen Bundesländer die Bundesregierung auf, ihr Schutzversprechen zu erfüllen und das Bundesaufnahmeprogramm endlich zu realisieren. Die niedersächsische Landesregierung fordern wir auf, ihr Koalitionsversprechen einzulösen, ein Landesaufnahmeprogramm für Menschenrechtsverteidiger*innen aufzulegen. Zudem fordern die Organisationen einen bundesweiten Abschiebestopp nach Afghanistan, ein Bleiberecht für geduldeten Afghan*innen und die Einstellung jeglicher Kooperationsgespräche mit dem Taliban-Regime zu Rücknahmeabkommen.

Seit der Machtübernahme der Taliban ist die Lage im Land katastrophal und für viele Menschen lebensbedrohlich. Die Taliban haben die Rechte von Frauen und Mädchen in Afghanistan massiv beschränkt. Angehörige der LGTBIQ* werden verfolgt. Die Communities werden öffentlich ausgepeitscht, im ganzen Land herrscht ein brutales Strafsystem. Taliban verschleppen, inhaftieren, vergewaltigen und bedrohen Menschen, die für die internationalen Kräfte gearbeitet haben. Durch die humanitäre Krise in Afghanistan sind zudem Millionen von Kindern von schwerer Unterernährung und lebensgefährlichen Krankheiten bedroht. Menschen, die eine Aufnahmezusage längst bekommen haben, warten aufgrund uferloser „Sicherheitsüberprüfungen“ monatelang auf einen Transfer.

Maryam Mohammadi, Referentin des Flüchtlingsrats Niedersachsen:

„Die anhaltende Situation der Afghanen mit Aufnahmezusage, die seit langem in Pakistan warten, ist alarmierend. Viele haben alles verkauft, um nach Pakistan gelangen zu können, und leben nun in ständiger Unsicherheit über ihre Zukunft. Was wird aus ihnen, wenn die Regierung erklärt, dass im Haushalt 2025 keine Mittel für das Bundesaufnahmeprogramm eingeplant sind? Zudem hoffen zahlreiche weitere verfolgte Afghanen in Afghanistan, die bereits eine Aufnahmezusage erhalten haben, darauf, endlich in Sicherheit gelangen zu können.“

Hochproblematische Entscheidungspraxis im Asylverfahren

Obwohl die menschenrechtliche und humanitäre Katastrophe in Afghanistan dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge bekannt ist, gibt es zunehmend mehr Ablehnungen von Asylanträgen afghanischer Geflüchteter. Das BAMF sieht zum Beispiel auch bei vorheriger Arbeit für die ehemalige afghanische Regierung nicht unbedingt eine Gefahr für die Betroffenen, selbst wenn Kolleg*innen verschleppt oder getötet wurden.

Zudem prüft das Bundesinnenministerium, nach Forderungen von Bund und Ländern, die Möglichkeit der Abschiebungen nach Afghanistan und führt konkrete Gespräche zum Beispiel mit Usbekistan, einem direkten Nachbarstaat, und auch mit den Taliban selbst.

“Abschiebungen nach Afghanistan bedeuten zwangsläufig eine Kooperation mit den Taliban, die Menschen-, Frauen- und Kinderrechte mit Füßen treten, foltern, vergewaltigen und morden. Kriminellen Regimen wie den Taliban darf man nicht die Hand reichen, sie anerkennen oder mit ihnen zusammenarbeiten. Das widerspricht allen Grundprinzipien des Rechtsstaats und ist ein unumkehrbarer Tabubruch“, so Tareq Alaows, flüchtlingspolitischer Sprecher von PRO ASYL.

PRO ASYL und die Landesflüchtlingsräten fordern einen bundesweiten Abschiebestopp und ein Bleiberecht für geduldeten Afghan*innen.

Bundesaufnahmeprogramm vor dem Aus

Obwohl die Lage eindeutig ist und Deutschland Schutz für gefährdete Afghan*innen versprochen hat, steht das Bundesaufnahmeprogramm für gefährdete Afghan*innen nur drei Jahre nach dem chaotischen Abzug der internationalen Streitkräfte im Sommer 2021 vor dem Aus. Dies ist im aktuellen Haushaltsplan der Regierung erkennbar. Gerade jetzt wird dieser Schutz jedoch dringend benötigt, da die Taliban Kabul vor drei Jahren blitzartig zurückerobert haben und viele gefährdete Personen weiterhin in Gefahr sind.

Für PRO ASYL und die Landesflüchtlingsräte steht diese katastrophale Entwicklung des Bundesaufnahmeprogramms auch im Zusammenhang mit den flüchtlingsfeindlichen Debatten der letzten Monate.

“Es kann nicht sein, dass ein von rechts getriebener Diskurs dazu führt, dass die Bundesregierung Verbündete im Stich lässt. Dies ist nicht nur fatal für die bedrohten Menschen, sondern macht auch deutsche Außenpolitik vor der Welt unglaubwürdig. Das Land Niedersachsen ist nun aufgerufen, einen Beitrag dafür zu leisten, dass an Leib und Leben bedrohte Menschenrechtsverteidiger*innen aus Afghanistan auch in Niedersachsen Aufnahme finden,” so Maryam Mohammadi für den Flüchtlingsrat Niedersachsen.

PRO ASYL, Flüchtlingsräte und viele weitere Organisationen fordern in einem gemeinsamen Statement den Erhalt und die tatsächliche Realisierung des Bundesaufnahmeprogramms und die Einhaltung der Schutzversprechen Deutschlands.

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Die deutsche Verantwortung für Afghanistan

Vor drei Jahren zogen die Nato-Verbündeten ihre Truppen aus Afghanistan ab. Nicht nur die Evakuierungsmission war chaotisch, auch der gesamte Einsatz war oft von einem Durcheinander unterschiedlicher Zuständigkeiten geprägt. Ein Rückblick.

Von Lena KöpselMontag, 12.08.2024, Klick zum Original

Mitte August 2021 erlebt die Nato in Kabul ein „Saigon-Szenario“. Die Bilder von verzweifelten Menschen, die sich an das Fahrwerk einer US-Militärmaschine am Flughafen von Kabul klammern, haben sich in das kollektive Gedächtnis eingebrannt. Die dramatischen Bilder der Evakuierungsmission stehen exemplarisch für das chaotische Ende der fast 20 Jahre langen Mission in Afghanistan. Seit der Machtübernahme Kabuls am 15. August 2021 haben die Taliban im ganzen Land wieder das Sagen.

Seit rund zwei Jahren arbeiten zwei parlamentarische Gremien die Rolle Deutschlands während des Einsatzes in Afghanistan auf. Der Untersuchungsausschuss Afghanistan befasst sich vorwiegend mit dem Abzug der Bundeswehr und der Evakuierungsmission. Die Enquete-Kommission des Bundestages, in der auch nicht parlamentarische Expertinnen und Experten vertreten sind, untersucht die deutsche Rolle in der Nato-Mission von 2001 bis 2021.

„Einer der wesentlichen Gründe für das Durcheinander war sicherlich das fehlende Interesse am Land selbst“, sagt der Bundestagsabgeord-nete und Vorsitzende des Untersuchungsausschusses Afghanistan, Ralf Stegner (SPD) rückblickend. Die Kenntnisse über Afghanistans ethnische Vielfalt und die komplexen Machtverhältnisse seien im Westen zu gering gewesen. Zudem hätten sich die Ziele des Einsatzes wiederholt geändert, das habe nicht zuletzt die Zusammenarbeit zwischen den zuständigen Ressorts erschwert, die teilweise auch eigene Interessen verfolgten.

Lehren gezogen?

Das bestätigt auch der Konfliktforscher Conrad Schetter: „Betrachtet man den gesamten Einsatz, entsteht der Eindruck, dass die Sicherheit der Soldaten Vorrang hatte, nicht die der afghanischen Bevölkerung“, sagt der Direktor des Bonn International Centre for Conflict Studies (BICC) dem „Evangelischen Pressedienst“. Die Truppen hätten sich demnach in Kundus und Faizabad „eingeigelt“ und nur selten die Feldlager verlassen. Persönlichen Kontakt mit der afghanischen Bevölkerung habe es kaum gegeben, sagt Schetter. Die Politik hat Ralf Stegner zufolge bereits erste Lehren aus dem Afghanistaneinsatz gezogen. „Man kann sicherlich schon heute sagen, dass die Bundeswehrmandate des Bundestags realistischer sind“, sagt der SPD-Politiker. Die Mandatstexte würden im Vergleich zum Afghanistaneinsatz nüchtern gehalten.

Trotz allem

Die wechselnde Zielsetzung des Einsatzes, die Uneinigkeit der deutsch-en Ressorts und die fehlende Kommunikation mit den internationalen Partnern endete nicht selten in Fehlplanungen. Schetter berichtet, dass es beispielsweise vorkam, dass eine deutsche NGO an einem Ort eine Schule baute, während eine amerikanische Organisation in derselben Region eine Straße anlegte – jedoch ohne die Schule anzubinden.

Trotz aller Schwierigkeiten haben die internationalen Kräfte Afghanistan nicht völlig zerstört zurückgelassen. „Ein Großteil der in den vergangenen 20 Jahren aufgebauten Infrastruktur, wie Straßen und Schulen, ist noch intakt“, sagt Schetter, der im vergangenen Jahr selbst in Afghanistan war. In den afghanischen Ministerien arbeiteten auf der unteren Ebene zudem weiterhin viele Angehörige der alten Regierung. Dadurch funktionierten die Strukturen besser, als man es unter den Taliban erwartet hätte, sagt Schetter. Auch dürfe man die Zivilgesellschaft nicht vergessen, die sich in den städtischen Gebieten entwickelt hat und die weiterhin für Menschen-, Frauen- und Pressefreiheit eintritt und sich gegen die rigide Politik der Taliban stellt.

Deutschland trägt Verantwortung

Stegner sieht heute noch eine Verantwortung Deutschlands für Afghanistan, auch aufgrund der „teils dramatischen humanitären Situation“. Diese werde auch in Zukunft zumindest niedrigschwelligen Kontakt zu den aktuellen Machthabern erfordern. Auch Konfliktforscher Schetter ist sich sicher: „An den Taliban führt kein Weg vorbei. Entweder man arrangiert sich mit ihnen oder man muss das Land verlassen“. Aber natürlich sei es schwierig, mit den Taliban zusammenzuarbeiten, besonders in Zeiten feministischer Außen- und Entwicklungspolitik, räumt er ein. Auch laut der Obfrau der Grünen in der Enquete-Kommission, Schahina Gambir, trägt Deutschland eine Mitverantwortung für die aktuelle Situation in Afghanistan. Sie fordert die Bundesregierung auf, dieser Verantwortung stärker nachzukommen. Die Kürzung der Haushaltsmittel für humanitäre Hilfe, wie vom Finanzminister vorgesehen, stünden dem entgegen. Gleichzeitig setzt sie sich für eine Weiterführung und Beschleunigung des Bundesaufnahmeprogramms für besonders gefährdete Afghaninnen und Afghanen ein. Derzeit wird in der Bundesregierung über die Zukunft des Programms gerungen. Für Gambir ist klar: „Die Menschen erneut im Stich zu lassen, kommt nicht in Frage.“ (epd/mig)

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»ICH WOLLTE SCHON IMMER ÄRZTIN WERDEN«

 

 

Als Frauenrechtsaktivistin und bekannte Kritikerin der Taliban musste Malala fliehen. Im Interview erzählt sie uns von ihrem Weg nach Deutschland. Aber die Angst vor den Taliban ist noch präsent: Zum Schutz ihrer Verwandten geht das nur anonym.

 

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Bundesministerium des Innern und für Heimat

M2-20105/56#1

 

 

Sehr geehrte Damen und Herren,

 

mit anliegender Verbalnote informiert die Botschaft der Islamischen Republik Afghanistan in Berlin darüber, dass derzeit die Botschaft und die Generalkonsulate der Islamischen Republik Afghanistan in Deutschland grundsätzlich keine neuen Passanträge annehmen können. Eine Ausstellung von neuen Pässen erfolgt nur in Ausnahmefällen. Es sei nicht absehbar, wann Anträge zur Ausstellung neuer Pässe wieder entgegen genommen und bearbeitet werden können. Dies gilt auch für die Ausstellung und Korrektur von Tazkiras. Pässe können jedoch für einen Zeitraum von zunächst fünf Jahren verlängert werden.

 

Aufgrund dieser Informationen der afghanischen Botschaft ist die Beschaffung neuer Reisepässe derzeit auf absehbare Zeit nicht möglich und daher nicht zumutbar.

 

Sofern Bescheinigungen über die Nichtausstellung von neuen Pässen den Antragstellern erteilt werden, sind diese für die Prüfung der Zumutbarkeit der Passbeschaffung heranzuziehen.

 

In den Fällen, in denen eine Verlängerung des afghanischen Passes nicht in Betracht kommt und auch kein Ausnahmefall einer Passausstellung gegeben ist, sind die zur Verfügung stehenden Möglichkeiten eines Passersatzes, wie die Ausstellung eines Ausweisersatzes oder Reiseausweises für Ausländer, zu nutzen.

 

Ich bitte, die Dienststellen Ihres Zuständigkeitsbereiches zeitnah hierüber zu informieren.

 

Mit freundlichen Grüßen, Im Auftrag -- Birgit Leske

Referat M 2 - Visum- und Einreisepolitik - Bundesministerium des Innern und für Heimat - Alt Moabit 140, D-10557 Berlin

E-Mail: M2@bmi.bund.de (Referat)

 


 

 

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HINTERGRUND

Hinweise für afghanische Flüchtlinge und ihre Berater*innen

21.09.2021 

 

Mit dem Sturz der Regierung von Präsident Ghani und der erneuten Machtübernahme der Taliban hat sich die asyl- und abschieberelevante Lage in Afghanistan grundlegend verändert. Dieser neuen Situation möchten wir mit den folgenden Beratungshinweisen begegnen. Aufgrund der sich ständig ändernden Lage werden die Beratungshinweise laufend aktualisiert.

 

 

 

Stand September 2021                                                NEWS

 

 

Abschieben um jeden Preis?

Zum Stand der Afghanistan-Abschiebungen

 

AKTUELL KEINE ABSCHIEBUNGEN NACH AFGHANISTAN

 

Für Dienstag den 03. August 2021 war zuletzt ein Abschiebungsflieger nach Afghanistan vorgesehen. Dieser Flieger konnte schließlich auf Grund eines Anschlags in Kabul, bei dem 13 Menschen ums Leben kamen, nicht starten und wurde abgesagt. Unmittelbar nach der Stornierung des Fluges hieß es aus Regierungskreisen noch, dass der Abschiebeflieger »zeitnah« neu terminiert werden solle. Tatsächlich kam es dazu nicht: Mit der Machtübernahme der Taliban am 15. August 2021 wurde die Praxis der Abschiebungen nach Afghanistan vorerst unterbrochen.

Einen offiziellen Abschiebestopp im Sinne des § 60 a) Abs. 1 AufenthG gibt es aktuell nicht. Derzeit finden aber keine Abschiebungen nach Afghanistan statt. Ob es zu einem offiziellen Abschiebungsstopp kommen wird bzw. ob und ggf. wann mit einer Wiederaufnahme der Abschiebungen zu rechnen ist, kann zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht gesagt werden.

Bis zuletzt hat das BAMF jedoch in einem Großteil der Asylverfahren von Afghan:innen lediglich Abschiebungsverbote erteilt oder Asylanträge sogar komplett abgelehnt

 

 

NEWS

 

 

Flucht aus Afghanistan

Was Deutschland jetzt machen muss

 

BAMF ENTSCHEIDET DERZEIT NUR EINGESCHRÄNKT ÜBER ASYLANTRÄGE VON AFGHAN:INNEN (»RÜCKPRIORISIERUNG«)

 

Derzeit hat das BAMF »aufgrund der aktuellen Situation in Afghanistan […] Entscheidungen für Antragsstellende aus Afghanistan rückpriorisiert«, wie das BAMF bereits unmittelbar vor der Machtübernahme der Taliban verlautbaren ließ. Das heißt, dass über diese Anträge vorerst nicht entschieden wird.

Ausgenommen davon sind Fälle, in denen das BAMF nach eigenem Dafürhalten internationalen Schutz zuerkennen kann. Gemeint ist damit, dass das BAMF über Fälle entscheidet, bei denen es auch schon nach bisheriger Lageeinschätzung vor der Machtübernahme der Taliban die Flüchtlingsanerkennung oder subsidiären Schutz zuerkennen konnte. Bis zuletzt hat das BAMF jedoch in einem Großteil der Asylverfahren von Afghan:innen lediglich Abschiebungsverbote erteilt (diese gelten nicht als internationaler Schutz, da sie sich auf eine nationale Rechtsgrundlage berufen) oder Asylanträge sogar komplett abgelehnt. Das bedeutet, dass für die meisten Antragsteller:innen ihre Anträge vorerst nicht weiter bearbeitet und sich die Asylverfahren in die Länge ziehen werden.

 

 

THEMA

 

 

Das Dublin System

 

Ausnahmen gelten zudem für Verfahren, in denen die Lage in Afghanistan für die Entscheidung nicht ausschlaggebend ist, etwa bei Antragsteller*Innen, die sich bereits vor ihrer Ankunft in Deutschland in anderen Staaten Europas befanden, das betrifft ‑Bescheide im sogenannten Dublin-Verfahren.

Eine Neubewertung der Lage durch das BAMF soll erst erfolgen, sobald das Auswärtige Amt seinen bereits angekündigten neuen Bericht zur Lage in Afghanistan veröffentlicht hat. Wir werden zeitnah darüber informieren.

 

 

IN WELCHEN FÄLLEN IST EIN ASYLFOLGEANTRAG RATSAM?

WAS SIND ASYLFOLGEANTRÄGE UND WIEDERAUFGREIFENSANTRÄGE?

Wie das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) nach der Machtübernahme der Taliban über Asylanträge und Asylfolgeanträge entscheiden wird, ist noch weitgehend unklar.

 

 

ÜBERBLICK

Asyl in Deutschland

 

Als relativ sicher gilt bereits jetzt, dass jenen Personen, die vor einer Verfolgung durch die Taliban geflohen sind, denen diese Verfolgung auch geglaubt worden ist und deren Asylanträge in der Vergangenheit allein wegen einer sogenannten inländischen Fluchtalternative innerhalb Afghanistans abgelehnt worden sind, im Falle eines Asylfolgeantrags die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen sein wird. Jedenfalls diesen Personen kann geraten werden, innerhalb von drei Monaten gerechnet ab der Machtübernahme der Taliban am 15. August 2021 – also bis zum 15. November 2021 Asylfolgeanträge zu stellen. Wenden Sie sich im Zweifel an eine Beratungsstelle oder eine:n Anwält:in.

Weiter sind Asylfolgeanträge dann sinnvoll, wenn sich Personen lediglich im Besitz einer normalen Duldung (auch: Beschäftigungsduldung, nicht: Ausbildungsduldung!, dazu unten) befinden und kein »Hineinwachsen« in eine Bleiberechtsregelung nach § 25a oder § 25b AufenthG in nächster Zeit ansteht.

In allen anderen Fällen sollte vor einer Asylfolgeantragstellung immer eine individuelle anwaltliche Beratung erfolgen. Aufgrund der höchst unterschiedlichen asyl- und aufenthaltsrechtlichen Konstellationen, auf die wir im Folgenden näher eingehen, ist nicht geplant einen Musterschriftsatz für afghanische Asylsuchende zur Verfügung zu stellen.

 

 

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HINWEISE

Die wichtigsten Fakten zur Aufnahme aus Afghanistan

nach § 22 Satz 2 Aufenthaltsgesetz

 

HINWEISE FÜR MENSCHEN, DIE BEREITS IM BESITZ EINER AUFENTHALTSERLAUBNIS SIND

 

Einigen Afghan:innen war es möglich im Laufe der letzten Jahre andere humanitäre Aufenthaltserlaubnisse unabhängig von Asylverfahren zu erhalten oder konnten bereits mit Aufenthaltserlaubnis nach Deutschland einreisen. In Fällen, in welchen Personen über Aufenthaltserlaubnisse nach den §§ 22 (Aufnahme aus dem Ausland: u.a. vorgesehen für Ortskräfte), 23 (Bundes- oder Landesaufnahmeprogramme) oder 25 Abs. 3 bis 5 AufenthG (Aufenthalt aus humanitären Gründen wegen Abschiebungsverbots) verfügen ist zu beachten, dass diese Aufenthaltstitel im Falle einer Asylantragstellung erlöschen (vgl. § 51 Abs. 1 Nr. 8 AufenthG). Eine Asylantragstellung sollte hier – wenn überhaupt – nur bei anwaltlich geprüften Erfolgsaussichten für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft oder subsidiären Schutzes in Erwägung gezogen werden.

 

 

NEWS

 

Achtung

Nach Evakuierung aus Afghanistan keinen übereilten Asylantrag stellen

 

Ein Asylverfahren kann unter den vorgenannten Umständen ggf. dennoch sinnvoll sein, um den Familiennachzug nach Deutschland zu ermöglichen, der ansonsten bei diesen Aufenthaltserlaubnissen (ebenso wie bei jenen nach § 25 Abs. 4 a), § 25a Absatz 1 oder § 25b Absatz 1 AufenthG) nur in eng begrenzten Ausnahmefällen möglich und in der Praxis äußerst selten ist (vgl. § 29 Abs. 3 AufenthG). Dies setzt voraus, dass Erfolgsaussichten auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft oder subsidiären Schutzes bestehen.

Für Inhaber einer Niederlassungserlaubnis ist der Familiennachzug einfacher

Steht indessen die Erteilung einer Niederlassungserlaubnis nach § 26 Abs. 4 AufenthG bevor, ist auch bei Fällen eines avisierten Familiennachzugs von der Asylfolgeantragstellung abzuraten, da der Familiennachzug für Inhaber einer Niederlassungserlaubnis keinen Beschränkungen unterliegt und somit einfacher ist. Voraussetzungen für die Erteilung einer solchen Niederlassungserlaubnis sind der Besitz einer Aufenthaltserlaubnis seit mindestens 5 Jahren, wobei die Zeiten des vorangegangenen Asylverfahrens angerechnet werden. Vorausgesetzt werden weiterhin eine Lebensunterhaltssicherung und ausreichender Wohnraum. Erleichterte Bedingungen gelten für Personen, die vor ihrem 18. Lebensjahr eingereist sind. Auch hier kann Ihnen eine Beratungsstelle oder anwaltliche Beratung weiterhelfen.

 

PERSONEN, DIE EINE AUFENTHALTSERLAUBNIS IN AUSSICHT HABEn

Bei Personen mit Ausbildungsduldung nach § 60c AufenthG und guten Aussichten auf das Bestehen der Ausbildung ist von einer Asylfolgeantragstellung abzuraten. Denn sobald das BAMF das Asylfolgeverfahren für zulässig erklärt, ist wieder eine Aufenthaltsgestattung auszustellen. Das hätte zur Folge, dass die Ausbildungsduldung nicht verlängert werden kann.

Insbesondere wenn das erfolgreiche Ende einer Ausbildung mit einer Ausbildungsduldung bereits abzusehen ist, nach welcher eine Aufenthaltserlaubnis nach § 19d AufenthG für qualifizierte Geduldete zum Zwecke der Beschäftigung zu erteilen ist (vgl. § 19d Abs. 1a) AufenthG), ist es ratsam, von einer Asylfolgeantragstellung abzusehen. Denn für die Betroffenen ist es i.d.R. besser schnell eine Aufenthaltserlaubnis zu erhalten, anstatt ein möglicherweise langwieriges Asylverfahren in Kauf zu nehmen und erneut einen unsicheren Aufenthaltsstatus zu haben.

Ähnlich verhält es sich, wenn eine Person kurz vor Erreichen der Voraufenthaltszeiten für § 25a (Aufenthaltsgewährung bei gut integrierten Jugendlichen und Heranwachsenden) oder § 25b AufenthG (Aufenthaltsgewährung bei nachhaltiger Integration) steht und die übrigen Voraussetzungen einer dieser Normen erfüllt sind. Auch hier ist der schnelle Erhalt einer Aufenthaltserlaubnis einem weiterem Asylverfahren i.d.R. vorzuziehen.

Die vorangegangenen Beispiele zeigen, dass eine Asylfolgeantragstellung selbst im Falle von Personen, die lediglich über eine Duldung verfügen, nicht in jedem Falle ratsam ist. Im Zweifel sollte immer der Rat einer Beratungsstelle oder eine:s Anwält:in eingezogen werden!

Ferner ist zu berücksichtigen, dass ein Asylfolgeantrag die Wirkungen des § 10 Abs. 1 AufenthG auslöst. Das heißt, dass vor dem bestandskräftigen Abschluss des damit ausgelösten Asylfolgeverfahrens außer im Falle eines Anspruchs (etwa bei der Geburt eines deutschen Kindes) regelmäßig keine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden kann. Steht die konkrete Möglichkeit der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis bereits in Aussicht, sollte daher unter Umständen von einer Asylfolgeantragstellung abgesehen werden, um diese nicht zu gefährden. Diese Wirkung eines Asylfolgeantrags kann – insbesondere wenn ohnedies nur ein solches Abschiebungsverbot zu erwarten wäre – aber auch umgangen werden, indem statt eines Asylfolgeantrags ein isolierter Wiederaufgreifensantrag auf Zuerkennung eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 5 oder 7 AufenthG beim BAMF gestellt wird. Im Gegensatz zu einem Asylfolgeantrag werden bei einem isolierten Wiederaufgreifensantrag nur konkret Abschiebungsverbote und nicht weitere Schutzformen wie der subsidiäre Schutz oder Flüchtlingseigenschaft geprüft. Welcher Antrag in welchem Fall sinnvoll ist sollte ebenfalls mit einer Beratungsstelle oder mit anwaltlicher Hilfe abgeklärt werden.

FAMILIENNACHZUG SONSTIGER FAMILIENANGEHÖRIGER

Immer wieder erreichen uns Anfragen von Personen, die ihre Familienmitglieder aus Afghanistan nach Deutschland holen möchten. Es gelten aber nach wie vor die allgemeinen Bedingungen für den Familiennachzug wie der Besitz von gewissen Aufenthaltserlaubnissen sowie die Beschränkung auf die Kernfamilie d.h. Ehegatte und minderjährige Kinder bzw. Eltern von Minderjährigen.

Rechtlich gibt es lediglich eine Ausnahmeregelung zum Familiennachzug von »sonstigen Familienangehörigen« in Form des § 36 Abs. 2 AufenthG. Vorgesehen ist ein Nachzug nur in Fällen »zur Vermeidung einer außergewöhnlichen Härte«, welche familiär begründet sein muss. Härtefallbegründend sind danach solche Umstände, aus denen sich ergibt, dass entweder derim Bundesgebiet lebende oder der nachzugswillige Familienangehörige auf die familiäre Lebenshilfe angewiesen ist, die sich nur im Bundesgebiet erbringen lässt (z. B. infolge einer besonderen Betreuungsbedürftigkeit). Die hohen Voraussetzungen werden nur in sehr seltenen Fällen erfüllt.

PRO ASYL fordert die Schaffung von Bundes- und Landesaufnahmeprogrammen für Afghan:innen, die u.a. eine Einreise von weiteren Familienangehörigen ermöglichen würde. Bisher gibt es vonseiten der Bundesregierung jedoch noch keine konkreten Vorhaben in diese Richtung. Sollte sich dies ändern, werden wir zeitnah darüber informieren.


NEWS

Achtung: Nach Evakuierung aus Afghanistan keinen übereilten Asylantrag stellen!

10.09.2021 

 

PRO ASYL erreichen – zum Teil auf Grund diesbezüglicher Aufforderungen des BAMF – Anfragen, ob Menschen, die aus Afghanistan evakuiert worden sind und die nicht als Ortskräfte gelten, also z.B. für die Bundeswehr, die GIZ oder andere deutsche Institutionen gearbeitet haben, einen Asylantrag stellen müssen. Diesbezüglich ist Vorsicht geboten.

 

DAS BAMF SUGGERIERT, DASS EIN ASYLANTRAG NOTWENDIG SEI – UND RUDERT KURZ DARAUF SELBST ZURÜCK

 

Das Bundesamt für Migration & Flüchtlinge (BAMF) hat offenbar in den letzten Tagen Schreiben an aus Afghanistan evakuierte Menschen verschickt, denen zufolge ihr Visum i.d.R. nur zu einem Aufenthalt für 90 Tage berechtigt und dass die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 22 Satz 2 AufenthG (wie es z.B. für die deutschen Ortskräfte vorgesehen ist) in ihrem Fall ausscheide.

 

Aus diesem Grund werden sie auf die Möglichkeit, ein Asylgesuch zu äußern, hingewiesen und dass im Asylverfahren ihr Aufenthaltsstatus langfristig geklärt werden könne. Im Folgenden wird in besagten Schreiben erklärt, wo und wie man ein Asylgesuch äußern kann, wie die ersten Verfahrensschritte ablaufen, sowie das mit Beginn des Asylverfahrens die Unterbringung in einer Aufnahmeeinrichtung und die Versorgung nach dem Asylbewerberleistungsgesetz gewährleistet sei.

Das BAMF suggeriert den neu in Deutschland angekommenen Menschen, dass sie dringend einen Asylantrag stellen müssten – oder ansonsten nicht bleiben könnten. Dies ist aber falsch!

Damit wird den neu in Deutschland angekommenen und noch unter dem Eindruck der dramatischen Evakuierungsaktion stehenden Menschen suggeriert, dass sie dringend einen Asylantrag stellen müssten – oder ansonsten nicht in Deutschland bleiben könnten. Dies ist aber falsch und kann sogar nachteilige Folgen haben!

Um die Sache für die Betroffenen noch verwirrender zu machen: In einigen Fällen hat das BAMF die Angeschriebenen nun in einem zweiten Schreiben darum gebeten, die Aufforderung zur Asylantragstellung als gegenstandslos zu betrachten. Diese Schreiben waren mit dem Hinweis versehen, dass im konkreten Fall noch keine abschließende Entscheidung über eine Aufnahmezusage nach § 22 Satz 2 AufenthG ergangen sei.

 

 

REGELMÄSSIG ANSPRUCH AUF ERTEILUNG EINER AUFENTHALTSERLAUBNIS NACH § 22 AUFENTHALTSGESETZ

Ganz klar ist: Evakuierte Personen mit Visa nach § 22 AufenthG sollten nicht vorschnell einen Asylantrag stellen. Es ist zwar richtig, dass das erteilte Visum zunächst nur für 90 Tage gültig ist – ein Grund zur Eile oder gar einer überstürzten Asylantragstellung besteht jedoch nicht, im Gegenteil. Denn bei einer Aufnahme aus dem Ausland im Rahmen des § 22 AufenthG ist bereits vor der Visumserteilung eine besondere Schutzbedürftigkeit der Betroffenen festgestellt worden. Ergo ist in der Regel davon auszugehen, dass Personen, die ein Visum nach § 22 AufenthG erhalten haben, im Anschluss auch eine Aufenthaltserlaubnis nach § 22 AufenthG erhalten sollten.

Schließlich geht es sowohl bei der Visaerteilung als auch bei Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis um die gleichen tatbestandlichen Voraussetzungen. Evakuierte sollten sich also zunächst innerhalb des Gültigkeitszeitraums des Visums an die für sie zuständige Ausländerbehörde richten und dort einen Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 22 AufenthG stellen. Sollte dieser Antrag abgelehnt werden, kann – nach Prüfung der Rechtmäßigkeit einer solchen Entscheidung – immer noch ein Asylantrag gestellt werden.

ASYLANTRÄGE FÜHREN ZUM ERLÖSCHEN DES ERTEILTEN VISUMS –

BEI UNGEWISSEN ERFOLGSAUSSICHTEN     

Hinzu kommt: Im Falle einer Asylantragstellung erlischt das nach § 22 AufenthG erteilte Visum gemäß § 55 Abs. 2 AsylG. Wurde bereits eine Aufenthaltserlaubnis erteilt, so erlischt auch diese im Falle der Stellung eines Asylantrags nach § 51 Abs. 1 Nr. 8 AufenthG.

Es ist noch unklar, ob das BAMF seine bislang äußerst restriktive Entscheidungspraxis zu Afghanistan revidieren wird.

Überdies dürfe es in vielen Fällen auch deshalb nicht ratsam zu sein, einen Asylantrag zu stellen, da derzeit leider noch unklar ist, ob das BAMF seine bislang äußerst restriktive Entscheidungspraxis revidieren wird und den nötigen Schutz erteilen wird.

VOR EINEM MÖGLICHEN ASYLANTRAG UNBEDINGT FACHLICHE BERATUNG EINHOLEN!

 Sollte trotzdem in bestimmten Einzelfällen ein Asylantrag als sinnvoll oder notwendig erachtet werden, bspw. weil es anhand der individuellen Umstände sehr gute Chancen auf den (besseren) Flüchtlingsstatus geben könnte oder weil enge Angehörige im Rahmen des Familiennachzugs nachgeholt werden sollen, sollten die Betroffenen  unbedingt vorherige fachliche Beratung bei einer Flüchtlingsberatungsstelle oder einer Anwältin / einem Anwalt aufsuchen, um mögliche Nachteile zu vermeiden.

 

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