Vorwurf: Kriegsverbrechen

Weltstrafgericht erlässt Haftbefehl gegen Netanjahu

Der Chefankläger des Internationalen Strafgerichtshofs will Israels Regierungschef Netanjahu vor Gericht bringen. Dafür gibt es nun ein Haftbefehl. International wird der Vorgang kontrovers diskutiert.

Der Internationale Strafgerichtshof hat Haftbefehle gegen Israels Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu, den früheren Verteidigungsminister Joav Galant und gegen den Anführer der Terrororganisation Hamas Mohammad Diab Ibrahim Al-Masri erlassen. Die Richter in Den Haag stimmten damit einem Antrag des Chefanklägers Karim Khan vom Mai zu. Netanjahu und Galant stehen danach unter dem Verdacht von Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit seit dem 8. Oktober 2023 im Gazastreifen.

Chefankläger Khan ermittelt seit Monaten wegen mutmaßlicher Kriegsverbrechen im Gaza-Krieg. Israel hatte Beschwerde gegen die Beantragung der Haftbefehle eingereicht. Diese wiesen die Richter zurück. Hamas-Chef Al-Masri – bekannt unter dem Namen Deif – wird wegen möglicher Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit seit dem 7. Oktober gesucht. Er soll bei einem israelischen Bombenangriff im Gazastreifen getötet worden sein. Eine offizielle Bestätigung für seinen Tod gab es jedoch nie.

Das Gericht sieht ausreichende Gründe für die Annahme, dass Netanjahu und Galant „absichtlich und wissentlich der Zivilbevölkerung im Gazastreifen wesentliche Dinge für ihr Überleben einschließlich Nahrung, Wasser sowie Medikamente und medizinische Hilfsmittel sowie Brennstoffe und Strom vorenthalten haben.“

Das Weltstrafgericht kennt keine Immunität von Staats- oder Regierungschefs. Bereits 2023 erließ es einen Haftbefehl gegen den russischen Präsidenten Wladimir Putin wegen möglicher Kriegsverbrechen in der Ukraine. Das Gericht mit Sitz in Den Haag hat selbst keine Möglichkeiten, die Haftbefehle auch zu vollstrecken. Aber seine 124 Mitgliedsstaaten – darunter Deutschland – sind dazu verpflichtet, die Gesuchten festzunehmen, sobald sie sich in ihrem Hoheitsgebiet befinden. Damit werden die Reisemöglichkeiten für die Gesuchten stark eingeschränkt.

Internationale Kontroverse

Schon der Antrag des Chefanklägers auf die Haftbefehle löste international Schockwellen aus. Zahlreiche Staaten hatten juristische Stellungnahme zu dieser Frage dem Gericht übergeben. Diese hatten die Richter bei ihrer Entscheidung über den Antrag mitberücksichtigt.

Weder die USA noch Israel erkennen den Strafgerichtshof an. Doch die palästinensischen Gebiete sind Vertragsstaat. Bereits 2021 hatte das Gericht festgestellt, dass es auch für Gebiete zuständig sei, die seit 1967 von Israel besetzt sind.

Im Mai hatte Netanjahu den Ankläger Khan einen „der großen Antisemiten der Moderne“ genannt. Auch Israels wichtigster Verbündeter, die USA, hatten sich gegen die Haftbefehle ausgesprochen. Zahlreiche andere Länder wie etwa Frankreich stärkten dem Strafgerichtshof dagegen den Rücken.

Weiteres Verfahren gegen Israel

Die Ermittlungen des Weltstrafgerichts sind unabhängig von laufenden Verfahren zu der Gewalt im Gazastreifen vor dem Internationalen Gerichtshof. Dieses höchste UN-Gericht ebenfalls mit Sitz in Den Haag will Streitfälle zwischen Staaten lösen. Südafrika hatte Israel wegen Völkermordes vor diesem Gericht verklagt. ©- dpa/mig - 21.11.2024

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Palästinenser*innen in Deutschland: Tabus brechen und Traumata thematisieren

In Deutschland lebt die größte palästinensische Gemeinschaft Europas. Die meisten von ihnen verfügen in ihrer Familiengeschichte über mehrfache Vertreibungserfahrungen. Ausgehend von ihrer Dissertation, untersucht Sarah El Bulbeisi wie sich dabei Tabu und Trauma über Generationen hinweg bedingen.

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Die Massenvertreibungen von 1947 bis 1948 markieren für Palästinenser*innen ein kollektives Trauma, nakba – arabisch «Katastrophe» – genannt: sie kamen der Zerstörung einer gesamten Gesellschaft gleich. Historischen Schätzungen zufolge wurden mindestens 750.000 Palästinenser*innen - drei Viertel der palästinensischen Bevölkerung auf dem Gebiet, auf dem 1948 Israel errichtet wurde - vertrieben. Dabei handelte es sich um etwa die Hälfte aller Palästinenser*innen auf dem gesamten Gebiet des britischen Mandatsgebiets Palästina, d.h. auf dem Gebiet zwischen Mittelmeer und Jordanfluss, welches das heutige Israel und die von Israel 1967 besetzten Gebiete umfasst. Sie flohen nach Gaza oder in die Westbank (inkl. Ostjerusalem), die unter ägyptische bzw. jordanische Hoheit kamen, oder in die arabischen Nachbarländer.

Die Nakba wird mittlerweile von Palästinenser*innen nicht mehr nur als eine traumatische Zäsur, sondern als traumatischer Prozess der Vertreibung und Enteignung verstanden, der sie seit 1947 bis heute in den besetzten Gebieten, aber auch in Israel selbst anhaltend ausgesetzt sind. 1967 wurden während des Juni-Krieges und im Zuge der israelischen Besetzung von Gaza, Westbank und Ost-Jerusalem noch einmal mindestens 300.000 Palästinenser*innen vertrieben. Nun, während des Gaza Kriegs, werden wir Zeugen von zwei Millionen Flüchtlingen in den äussersten Süden des winzigen Landstrichs an die Grenze zu Ägypten. Hinzu kommt die kontinuierliche Binnenvertreibung durch Landannexion vor allem in der Westbank.

Obwohl zutiefst verflochten mit der Geschichte des Nationalsozialismus, wird die Nakba aus dem deutschen kollektiven Gedächtnis und öffentlichen Diskurs ausgegrenzt, israelische Staatsgewalt weitgehend tabuisiert. Die Nakba und die Shoa werden nicht als Teile desselben historischen Prozesses gedacht. Der Bezug zur Geschichte des Nationalsozialismus wird nur einseitig hergestellt, nämlich in der Verbindung zwischen der Shoa und der Schaffung Israels als Zufluchtsort für Jüdinnen und Juden. Die systematische Vertreibung von Palästinenser*innen im Zuge der israelischen Staatsgründung und seines Selbstverständnisses als eines jüdischen Staates wird nicht als Folge des Nationalsozialismus diskutiert, geschweige denn betrauert. Die Folgen für Palästinenser*innen in Deutschland sind gravierend.

Palästinenser*innen in Deutschland

In Deutschland lebt die größte palästinensische Gemeinschaft Europas. Man kann drei Migrationsphasen unterscheiden: die Studien- und Arbeitsmigration der 1960er Jahre, die Fluchtmigration aus den libanesischen Flüchtlingslagern vor dem Hintergrund des libanesischen Bürgerkriegs in den 1980er Jahren sowie die jüngste Fluchtmigration aus den syrischen Flüchtlingslagern im Kontext des syrischen Kriegs nach 2011. Die meisten Palästinenser*innen in Deutschland verfügen über mehrfache Vertreibungserfahrungen in ihrer Familiengeschichte oder in ihren eigenen Lebensgeschichten. Viele, die in den 1960er Jahren nach Deutschland gekommen waren, wurden im Zuge der Besatzung von 1967 zu Betroffenen indirekter Vertreibung, wenn sie aus Gaza, dem Westjordanland oder Ost-Jerusalem stammten. Wenn sie sich während der Bevölkerungszählung am Anfang der Besatzung im Ausland aufhielten, wurden sie von den israelischen Behörden zu Abwesenden erklärt und verloren ihr Recht auf Rückkehr. Sie wurden so in Deutschland zu Flüchtlingen sur place.

Für viele dieser Palästinenser*innen bildete dies die zweite persönliche Vertreibungserfahrung, wenn sie 1947/48 als Kinder bereits nach Gaza, in die Westbank oder nach Ost-Jerusalem vertrieben worden waren. Viele von ihnen waren mit der Vision nach Europa gekommen, irgendwann nach Palästina zurückzukehren und mit dem in Europa erworbenen Wissen zum Wiederaufbau der palästinensischen Gesellschaft beizutragen. Ausgerechnet vor dem Hintergrund dieser Vision wiederholte sich bei ihnen die Vertreibungserfahrung. Auch für Palästinenser*innen aus dem Libanon setzte sich in Deutschland die Fluchterfahrung fort. Meist erfuhren sie sogenannte Kettenduldungen, da Deutschland sie nicht als politische Flüchtlinge anerkannte und der Libanon sich aufgrund ihrer offiziellen Staatenlosigkeit nicht als verpflichtet sah, sie zurückzunehmen. Über Jahre hinweg wurde die Duldung, d.h. die Aufschiebung der Abschiebung, immer wieder erneuert; die Betroffenen durch den Duldungsstatus weitgehend isoliert. Viele lebten jahrelang mit gepackten Koffern in ihrer Wohnung; zu jedem gegebenen Zeitpunkt hätte man sie zwingen können, Deutschland zu verlassen. Oder, wie ein Gesprächspartner es ausdrückte, man habe das libanesische Lager gegen das deutsche ausgetauscht. Für Palästinenser*innen im deutschen Exil und ihre Kinder hielt die Gewalt aber nicht zuletzt auch deshalb an, weil auf die physische Enteignung, die Enteignung des Rechts auf Rückkehr in ihr Land, die diskursive Enteignung, das Absprechen ihrer Gewalterfahrung, folgte.

Tabu und Trauma

Aus der psychoanalytischen Traumaforschung wissen wir, Trauma ist nicht bloß als die Folgereaktion eines Ereignisses, das die Psyche überfordert, sondern als ein Prozess zu betrachten. Für die Bewältigung von Gewalterfahrung wesentlich ist, wie die Gesellschaft damit umgeht. Wiederkehrende Erfahrungen von Ausschluss, die Verneinung von Gewalterfahrung sowie die Missachtung und das systematische Absprechen der eigenen Wahrnehmung können traumatisch wirken. Tabuisierung – also die gesellschaftliche Verdrängung palästinensischer Gewalterfahrung – war von solch ähnlicher Struktur wie die physisch erlebte Gewalt – die systematische Verdrängung aus ihrer Heimat –, dass sie diese wiederholte und ihr dadurch erst traumatische Tiefe verlieh. Verschärft wurde dies durch symbolische bzw. diskursive Gewalt, das heißt durch die Gewalt jener Diskurse, die systematische Gewalt normalisieren und legitimieren, sobald diese sichtbar zu werden droht.

Die Vertreibung und Enteignung von Palästinenser*innen wird geleugnet oder bagatellisiert, als umstritten, zufällig oder selbstverschuldet dargestellt. So hieß und heißt es beispielsweise, Palästinenser*innen hätten das Land freiwillig verlassen oder verkauft, bei den Vertreibungen handle es sich um Nebeneffekte von Kriegen, oder aber, das historische Palästina sei unbevölkerte Wüste gewesen, Palästinenser*innen seien kein eigentliches Volk und könnten dadurch auch nicht entwurzelt werden. Gewalt gegen Palästinenser*innen wird aber auch moralisch gerechtfertigt, und zwar über eine Opfer-Täter-Dichotomie, in der sie auf die Position des Täters fixiert werden. In immer neuen Variationen werden sie als bedrohliche «Wilde», Terroristen, islamistische Extremisten und Antisemiten Israel als Teil der sogenannten christlich-jüdischen, abendländischen Kultur und Wertegemeinschaft gegenübergestellt. Die Figur des gewalttätigen Palästinensers verkörpert die moralische Devianz zur westlichen Zivilisation.

Die erste Generation

All dies stellte vor allem Palästinenser*innen der ersten Migrationsgeneration schließlich in Frage. Sie verinnerlichten die erwähnten Diskurse und empfanden in der Folge die erlebte Gewalt als etwas Beschämendes und Selbstverschuldetes. Dies führte zu Selbstauflösung: zu Schuld und Scham im Inneren und Selbstverneinung im Äußeren; zu Gefühlen der Bedeutungslosigkeit, zu Angst vor Sichtbarkeit und politischem Aktivismus, aber auch vor dem Fühlen geschweige denn Ausdruck von Wut und Trauer. Es mündete in Melancholie, in das soziale Sterben, den Rückzug von Gesellschaft, Familie und anderen Palästinenser*innen, und in das suizidale Leben. Viele Akteur*innen begannen ihre Identität im öffentlichen Raum zu verbergen, um den Schmerz zu vermeiden, stigmatisiert statt betrauert zu werden. Viele taten dies, obwohl sie ein revolutionäres palästinensisches Subjekt hatten sein wollen. Ihr Palästinensischsein nach außen hin verbergend oder gar verneinend, kultivierten sie es stattdessen innerlich, als Hingabe an die Erfahrungsgemeinschaft. Im Festhalten an ihr suchte man nicht zuletzt Zuflucht in der Kollektivität individueller traumatischer Erfahrung.

Die intergenerationale Beziehung war geprägt von der Melancholie der ersten Generation. Deren – gesellschaftlich verursachte und für sich selbst verinnerlichte – Unsichtbarkeit schrieb sich als emotionale Abwesenheit in die Beziehung zu ihren Kindern ein. Dies trug maßgeblich dazu bei, wie traumatische Erfahrung an sie weitergegeben wurde: Um Beziehung aufzubauen, mussten sie ihre Eltern als Subjekte zuerst herstellen. Dies führte zu einer Umkehrung der sozialen Rollen zwischen Eltern und Kindern und manifestierte sich im Versuch der Kinder, mit ihren Eltern zu verschmelzen und diese aus ihrer Abwesenheit zu holen.

Die zweite Generation

Eine Gesprächspartnerin der zweiten Generation erzählt, wie sie zu ihrer Studienzeit stets für eine Jüdin gehalten wurde, weil sie so «frei» gewesen sei. Sie habe ihre Umgebung in diesem Glauben gelassen, weil es angenehmer gewesen sei, Jüdin zu sein. Die jüdische Erfahrung sei so ähnlich wie die palästinensische, aber eben nicht tabu. Sie habe sich eine «total künstliche Identität aufgebaut, in die sie ihren ganzen Schmerz habe stecken können». Um ihre Erfahrung mit ihrer Umgebung teilen zu können, schlüpfte sie also in die Identität, verbarg sie ihren Schmerz im Schmerz des jüdischen Anderen. Um gesehen zu werden, wiederholte sie eine Form von Gewalt an sich selbst, die sie gesellschaftlich wiederholt erfährt: die Überschreibung ihrer palästinensischen Erfahrung mit der jüdischen Erfahrung in Europa.

Die israelische Militäroffensive in Gaza von 2014 bildete für viele Angehörige der zweiten Generation eine Zäsur. Die Tabuisierung und Rechtfertigung palästinensischer Gewalterfahrung nahm in Deutschland zeitgleich mit den Offensiven des israelischen Militärs zu. Der unverhältnismäßige Gewalteinsatz der israelischen Armee, der zur Tötung Hunderter von Zivilisten führte, wurde meist als notwendig dargestellt, Israels Narrativ eines Selbstverteidigungskriegs uneingeschränkt übernommen. Palästinenser*innen in Deutschland, die dagegen protestierten, verschwanden als Menschen in der Repräsentation eines antisemitischen palästinensischen Kollektivsubjekts. Dies verstärkte das Gefühl des Misstrauens gegenüber der Gesellschaft, in der sie aufgewachsen waren, und das Gefühl, im Land ihrer Kindheit im Exil zu leben. Hatten viele Palästinenser*innen zweiter Generation davor mangelnde Empathie noch mit Unwissenheit entschuldigt, deuteten sie sie nun als anti-palästinensischen Rassismus. Sie brachen mit der Selbstverneinung, die ihnen oft auch von den Eltern aufgetragen worden war, überwanden die Isolation und Angst vor Sichtbarkeit und Aktivismus, vernetzten sich national und transnational und wirkten der Fragmentierung entgegen. Auch entdeckten sie die Trauer und Wut, die ihren Eltern verwehrt blieb, und begannen, sich als Betroffenengruppe zu artikulieren, sich die verlorene, da sozial verworfene Geschichte und Identität wieder anzueignen, Schuld und Scham in Stolz und die Ohnmacht traumatischer Existenz in Handlungsmacht umzuwandeln.

Diese Entwicklung intensiviert sich besonders seit Beginn des aktuellen Kriegs in Gaza zwischen der Hamas und Israel, das von Deutschland mit Waffenlieferungen unterstützt wird. In der deutschen politischen und medialen Öffentlichkeit werden die israelischen Angriffe in Gaza, die immer wieder die palästinensische Zivilbevölkerung treffen und bereits zu Zehntausenden von Toten geführt haben, meist als Krieg gegen die Hamas und deren Antisemitismus gerechtfertigt. Die Kontextualisierung des Hamas-Angriffs vom 7. Oktober und der Verweis auf die jahrzehntelange israelische Staatsgewalt gegen Palästinenser*innen wird in Deutschland hingegen geächtet. Strukturelle Gewalt – die Dämonisierung palästinensischer Identität –­­ wird zunehmend institutionalisiert, was u.a. in Restriktionen palästinensischer Sichtbarkeit im öffentlichen Raum und in erhöhter Polizeigewalt mündet. Für Palästinenser*innen in Deutschland verschwimmen die Grenzen des «hier» wie «dort» zusehends: sie fühlen sich – wie Palästinenser*innen im historischen Palästina – nicht als Menschen gesehen, ihres Bürgerstatus’ beraubt.

© Heinrich-Böll-Stiftung 

 

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Die Heinrich-Böll-Stiftung veröffentlicht anlässlich des Jahrestages 7. Oktober ein Themendossier

 

Die Terrorangriffe der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 und der bis heute anhaltende Krieg in Gaza haben großes Leid über die

Menschen in der Region sowie die Menschen in der jüdischen, israelischen und palästinensischen Diaspora in Deutschland gebracht.

Als Täternation des Holocausts und als Einwanderungsland, das für viele Menschen aus dem Nahen Osten ein Zuhause ist, spielen

sich die Debatten seither in einem vielschichtigen Kontext ab. Antisemitische, antimuslimische und anti-palästinensische Vorfälle

haben massiv zugenommen, während der voranschreitende Rechtsruck unser Zusammenleben als offene Gesellschaft in ungekanntem

Ausmaß bedroht.

Anstatt diese Komplexität und die Gleichzeitigkeit von Antisemitismus und Rassismus, von Trauer, Schmerz und Enttäuschung über

 fehlende Empathie auf allen Seiten anzuerkennen und darüber zu sprechen, ist die öffentliche Debatte von Polarisierung, Spaltung

 und Dogmatismus geprägt. Während sich in Gaza eine humanitäre Katastrophe abspielt, Angehörige in Israel weiterhin um den

Verbleib der Geiseln bangen und auf beiden Seiten viele um ihre Toten trauern, wird in Deutschland vor allem eins: gestritten.

Mit dem Dossier „Zuhören, hinsehen“ möchten wir Räume für differenzierte Auseinandersetzungen öffnen und dazu beitragen,

 Brücken in der Gesellschaft – insbesondere zwischen den betroffenen Communities – zu bauen. Wir haben Autor*innen dazu

eingeladen, aus verschiedenen Perspektiven die Debatten und ihre Leerstellen in Deutschland nach dem 7. Oktober zu beleuchten.

 Sie eint das Anliegen, zu einem gesellschaftlichen Diskurs beizutragen, der offen, demokratisch und solidarisch ist.

Das Dossier ist kein abgeschlossenes Projekt. Es wird kontinuierlich mit weiteren Perspektiven und Debattenbeiträgen ergänzt.

Mit Beiträgen von u.a. Lena Gorelik, Maja Sojref, Hakan Akçit, Joana Osman, Michael Wildt, Sarah El Bulbeisi.

https://heimatkunde.boell.de/de/zuhoeren-hinsehen

Zum Dossie

 

 

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»Mit Fäusten, Stiefeln, Gewehrkolben und Knüppeln«.               7.6.2024

Israels Armee hat mehrere Tausend Palästinenser im Gazastreifen festgenommen. Freigelassene, Whistleblower und Menschenrechtler berichten von Prügel, Folter und Amputationen in den Militärlagern. Die SPIEGEL-Recherche. ... Klick mich zum Spiegel+
Ein Palästinenser steht mit erhobenen Armen im Militärlager Sde Teiman: Die Gefangenen dürfen sich laut Aussagen eines israelischen Whistleblowers nicht bewegen und nicht miteinander sprechen, ansonsten würden sie verprügelt

Ein Palästinenser steht mit erhobenen Armen im Militärlager Sde Teiman: Die Gefangenen dürfen sich laut Aussagen eines israelischen Whistleblowers nicht bewegen und nicht miteinander sprechen, ansonsten würden sie verprügelt                                                           Foto: AP

 

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7.Oktober 2023:

Brutaler Überfall der Hamas auf Israel

 

Um kurz nach 6.30 Uhr Ortszeit riss das Heulen der Sirenen die Menschen im Süden und im Zentrum Israels aus dem Schlaf. Der Blick auf das Telefon aber irritierte. Die meisten Israelis haben eine der Raketenwarn-Apps installiert, auch melden die israelischen Medien Angriffe immer sofort als Eilmeldung. An diesem Morgen aber schwiegen die Telefone, keine Warn- und keine Eilmeldung. Später wurde klar, dass die Hamas systematisch die Warnsysteme zerstört hatte. Das wusste zu diesem Zeitpunkt noch kaum jemand. Wer keinen eigenen Schutzraum in der Wohnung hatte, flüchtete sich in den Hausflur oder Keller, traf dort Nachbarn, die scherzten: „Vielleicht ist ein Soldat eingenickt und mit dem Kopf auf den Alarmknopf gefallen!“

Beim zweiten Alarm, etwa 20 Minuten später, war das Lachen vergangen. Über soziale Medien verbreiteten sich erste Videos, die das Grauen jenes Tages ankündigten. Ungefähr 3.000 palästinensische Terroristen, überwiegend der Terrororganisation Hamas, drangen aus dem Gazastreifen nach Israel ein. Sie hatten an fast 30 Stellen den sechs Meter hohen Grenzzaun gesprengt. Noch war die Nachrichtenlage völlig unklar, aber eindeutig war: Mit dem Eindringen der Terroristen war Israels Albtraum wahr geworden.

Israel, gegründet als Sicherheitsversprechen jüdischen Lebens, konnte an diesem Tag seinem Auftrag nicht nachkommen. Propagandavideos der Terroristen, Aufnahmen und Aussagen der Überlebenden dokumentieren die Gräuel dieses Tages. Die Terroristen überfielen die israelischen Militärbasen (die unter anderem dafür zuständig sind, die Zivilbevölkerung zu alarmieren, und es aufgrund der Überfälle nicht konnten), sie überfielen die Kibbuzim direkt an der Grenze zu Gaza, sie verübten ein Massaker auf dem Musikfestival „Nova“, das auf einem freien Feld zwischen zwei Kibbuzim stattfand.

 

Die Terroristen töteten, wen sie treffen konnten, vergewaltigten Frauen, schändeten Leichen oder im Sterben liegende Menschen und verübten laut Zeugenaussagen noch weitere Gräueltaten. Menschen wurden in Autos verbrannt, konnten später nur anhand von Knochenresten identifiziert werden. Ähnliche Szenen spielten sich in den Kibbuzim ab: Kinder mussten mit ansehen, wie ihre Eltern hingerichtet wurden. Eltern, wie ihre Kinder geschändet wurden.

Mehr als 1.200 Menschen wurden am 7. Oktober getötet

Die Terroristen hielten mehrere Orte und umliegende Straßen über Stunden unter Kontrolle. Auch deshalb dauerte es bis zum Abend, bis die Dimension des Angriffs deutlich wurde, inklusive der massenhaften Geiselnahmen. Bei dem über Monate geplanten Angriff verschleppten die Terroristen mehr als 240 Menschen nach Gaza. Mindestens 1.200 Menschen wurden an dem Tag getötet. Das sind mehr als während der gesamten Zweiten Intifada, der mehrjährigen Phase palästinensischer Terroranschläge Anfang der 2000er-Jahre. Die Hamas-Gräuel vom 7. Oktober stellen den schwersten Angriff auf jüdisches Leben seit dem Holocaust dar.

Auf den Angriff der Hamas folgte der schwerste Krieg in Gaza seit Bestehen des israelisch-palästinensischen Konflikts. Die Ziele: Die Hamas sollte zerstört und die Geiseln befreit werden. Für die Hamas sind die Geiseln eine Art Lebensversicherung und Verhandlungsmasse. Mitte November einigten sich Israel und die Terrorgruppe erstmals auf ein Abkommen − etwas mehr als 100 israelische Geiseln wurden freigelassen, ausschließlich Frauen und Kinder. Israel entließ dafür 240 palästinensische Insassen aus israelischen Gefängnissen, ebenfalls nur Frauen und Kinder – oder in diesem Fall Jugendliche. Gemessen an der Einwohnerzahl Israels gilt der Hamas-Angriff als einer der weltweit tödlichsten Terrorangriffe der modernen Geschichte.

Der Krieg in Gaza dauert immer noch an.

... Klick: Quelle © Bundeszentrale für politische Bildung/Fluter (Zugriff: 6.5.2024)

 

Hier weiter Informationen der Bundeszentrale für pol. Bildung zu Israel

nach demHamas-Überfall:                                                                             (Zugriff: 7.6.2024)                                                                  ... Klick mich.                                       

 

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Die Hamas (arabisch حماسDMG ḥamās ‚Begeisterung, Eifer, Kampfgeist‘, zugleich Akronym aus حركة المقاومة الإسلاميةDMG Ḥarakat al-muqāwama al-islāmiyya ‚Islamische Widerstandsbewegung‘) ist eine palästinensische sunnitisch-islamistische Organisation, die international von 41 Staaten als Terroristische Vereinigung eingestuft wurde. Das erklärte Ziel der Hamas ist es, den Staat Israel zu vernichten. Auf dem von 162 der 192 Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen anerkannten Staatsgebiet Israels und auf dem Territorium des von 145 der 193 Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen (UNO) anerkannten Staates Palästina beabsichtigt die Terrororganisation einen vom Islam als Staatsreligion geprägten Gottesstaat zu errichten.

Die Hamas wurde Ende 1987 nach Beginn der ersten Intifada als Zweig der Muslimbruderschaft in Gaza-Stadt gegründet. Sie besteht aus einer politischen Partei, einem sozialen Hilfswerk und ihrem militärischen Flügel, den paramilitärischen Qassam-Brigaden. Ihre gesamte Mitgliederzahl wurde bis Oktober 2023 auf 35.000[1] bis 80.000 geschätzt.[2]

2006, ein Jahr nach Israels Rückzug aus dem Gazastreifen, erhielt die Hamas bei den bislang letzten freien Parlamentswahlen in den palästinensischen Autonomiegebieten die Mehrheit der Wählerstimmen im Gazastreifen. Im sogenannten Kampf um Gaza im Juni 2007 schaltete sie dort die konkurrierende säkulare Fatah aus und ergriff gewaltsam die Macht im Gazastreifen, in dem sie seither die Regierung stellt.

Seit 1989 greift die Hamas Israel immer wieder durch Terrorakte an, darunter Morde, Selbstmordanschläge und Beschuss mit Qassam-Raketen. Damit löste sie mehrere Gaza-Kriege aus. Bei ihrem Terrorangriff auf Israel am 7. Oktober 2023 ermordete sie mindestens 1139 Menschen und löste den Krieg in Israel und Gaza 2023 aus. Deshalb stufen Historiker und Politikwissenschaftler, die Europäische Union, die USA und weitere Staaten die Hamas als Terrororganisation ein. Als engste Verbündete der Hamas gelten die Mitglieder der sogenannten „Achse des Widerstands“. 

 © Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Hamas

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Rechtlicher Status von PalästinenserInnen in Deutschland:

Sie sind Staatenlose i.S. von Art. 1 Abs. 1 StaatenlÜbk, da sie kein Staat aufgrund seines Rechts als Staatsangehörige ansieht. Hierbei ist für Palästinenser, die keine andere Staatsangehörigkeit besitzen, geklärt, dass diese Staatenlose i.S. dieser Vorschrift sind (BVerwG, Beschluss vom 25.

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Israel "stiehlt Organe" von Leichen in Gaza, behauptet eine Menschenrechtsgruppe

 

Von Joshua Askew

                                                      Zuerst veröffentlicht am 28/11/2023

 

Euro-Med Human Rights Monitor hat Bedenken über den "Organraub" durch die israelischen Streitkräfte an toten Palästinensern geäußert.

Eine Nichtregierungsorganisation hat die israelische Armee beschuldigt, Organe von Toten im Gazastreifen zu stehlen - und eine unabhängige internationale Untersuchung gefordert.

Die Menschenrechtsorganisation Euro-Med Human Rights Monitor erklärte am Sonntag, sie sei "besorgt" über einen möglichen Organraub an palästinensischen Leichen, nachdem medizinische Fachleute in Gaza einige Leichen untersucht hatten, die von den Israelis freigegeben worden waren.

Die Nichregierungsorganisation behauptet, sie habe dokumentiert, dass die israelischen Streitkräfte Dutzende Leichen aus dem Al-Shifa-Krankenhaus und dem indonesischen Krankenhaus im Norden des Gazastreifens sowie aus anderen Krankenhäusern im Süden beschlagnahmt hätten.

© https://de.euronews.com/

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Leichen aus Massengrab exhumiert?

Euro-Med Human Rights Monitor meldet auch, Israel habe Leichen aus einem Massengrab exhumiert und beschlagnahmt. Dieses war vor mehr als 10 Tagen in einem Hof des Al-Shifa-Krankenhauses ausgehoben worden.

Medizinisches Fachpersonal stellte Berichten zufolge fest, dass lebenswichtige Organe wie Lebern, Nieren und Herzen sowie Cochleas und Hornhäute fehlten, was die NRO als "Beweis" für einen möglichen Organraub bezeichnete.

Die israelischen Verteidigungskräfte (IDF) wurden um eine Stellungnahme gebeten.

Der Organraub kann nicht allein durch eine gerichtsmedizinische Untersuchung bewiesen oder widerlegt werden, da mehrere Leichen vor dem Tod operiert wurden, so die Ärzte mehrerer Krankenhäuser im Gazastreifen, die von Euro-Med zitiert wurden.

Eine vollständige Untersuchung der geborgenen Leichen sei angesichts der intensiven israelischen Angriffe auf den Gazastreifen nicht möglich gewesen, hieß es. Zuvor hatten palästinensische Gesundheitsbeamte in Gaza erklärt, sie könnten die Toten nicht einmal mehr zählen, weil das Gesundheitssystem der Enklave zusammengebrochen sei.

Israel wird seit langem beschuldigt, Organe zu entnehmen

In den vergangenen Jahren kursierten Berichte, wonach Israel sich unrechtmäßig  palästinensischen Leichen Organe entnehme.

In ihrem Buch "Over Their Dead Bodies" (Über ihre toten Körper) behauptet die israelische Ärztin Meira Weiss, dass zwischen 1996 und 2002 toten Palästinensern Organe entnommen und in der medizinischen Forschung an israelischen Universitäten verwendet sowie israelischen Patienten transplantiert wurden.

Nach jüdischer Lehre sind Organtransplantationen und -entnahmen erlaubt, wobei die Notwendigkeit, Leben zu retten, Vorrang vor allen anderen religiösen Geboten hat.

Eine umstrittene Untersuchung des israelischen Fernsehens im Jahr 2014 enthielt Geständnisse hochrangiger Beamter, dass Haut von den Körpern toter Palästinenser und afrikanischer Arbeiter entnommen wurde, um Israelis zu behandeln, z. B. Soldaten mit Brandverletzungen.

Darin enthüllte der Direktor der israelischen Hautbank, dass das Land über eine Reserve von 17 Quadratmetern "menschlicher Haut" verfügt - eine riesige Menge im Verhältnis zur Bevölkerung Israels.

                                              Laut einer Untersuchung des Senders CNN aus dem Jahr 2008 gilt                                                        Israel als größte Drehscheibe für den weltweiten illegalen Handel mit menschlichen Organen.

Euro-Med Monitor behauptete, Israel sei eine der "weltweit größten Drehscheiben für den illegalen Handel mit menschlichen Organen unter dem Vorwand der 'Sicherheitsabschreckung'".

Die Organisation forderte das Land auf, sich an "internationales Recht" zu halten und bekräftigte die "Notwendigkeit, die Körper der Toten während bewaffneter Konflikte zu respektieren und zu schützen".

Die Vierte Genfer Konvention von 1949, die Israel nicht ratifiziert hat, verlangt von den Kriegsgegnern, die Würde der Toten zu respektieren, einschließlich des Verbots der Plünderung, Verstümmelung oder jeglicher respektloser Behandlung ihrer Körper.

Palästinensische Leichen werden Berichten zufolge von israelischen Streitkräften zurückgehalten

Euro-Med beschuldigte Israel auch, die sterblichen Überreste von Dutzenden Palästinensern, die während der Militäroperation im Gazastreifen seit dem 7. Oktober getötet wurden, zurückzuhalten, obwohl einige von ihnen dem Internationalen Komitee vom Roten Kreuz übergeben worden sind.

Dies wird von einigen als Strafmaßnahme betrachtet, um den Familien die Möglichkeit zu nehmen, ihre Angehörigen zu bestatten.

Israel hält seit langem die Leichen toter Palästinenser zurück, so Euro-Med Monitor.

Der Bericht behauptet, dass Israel die sterblichen Überreste von mindestens 145 Palästinensern in seinen Leichenhallen und etwa 255 auf dem so genannten "Zahlenfriedhof" aufbewahrt, einem Gelände nahe der jordanischen Grenze, das für die Öffentlichkeit nicht zugänglich ist.

Die Verweigerung der Aushändigung der Leichen an die trauernden Familien zur Beerdigung kann einer kollektiven Bestrafung gleichkommen, die wiederum laut der Vierten Genfer Konvention verboten ist, wie Euro-Med Monitor feststellte.

Die Beerdigung der Toten gilt im Islam als eine grundlegende religiöse Pflicht, die eine große kulturelle und spirituelle Bedeutung hat.

 


Flüchtlinge zweiter Klasse: Palästinenser im Libanon

 /                                                                                                                                                                                            © Bundeszentrale für politische Bildung

Seit sieben Jahrzehnten leben palästinensische Flüchtlinge im Libanon. Die Flucht mehrerer Zehntausend Palästinenser aus Syrien hat die Lebenssituation in den libanesischen Flüchtlingslagern verschlechtert. Von der libanesischen Regierung und Bevölkerung wird die Anwesenheit der Palästinaflüchtlinge als Sicherheitsrisiko betrachtet.

Palästinensisches Flüchtlingslager Bourj al-Barajneh in Beirut: Die Flüchtlingslager sind dicht besiedelt und diejenigen, die sich spontan entwickelt haben, sind ein Labyrinth aus engen Straßen und Hauseingängen.
Palästinensisches Flüchtlingslager Bourj al-Barajneh in Beirut: Die Flüchtlingslager sind dicht besiedelt und diejenigen, die sich spontan entwickelt haben, sind ein Labyrinth aus engen Straßen und Hauseingängen. (© Rebecca Roberts)
 verwaltet werden.Zur Auflösung der Fußnote[1] Andere leben in inoffiziellen Siedlungen oder in Privatwohnungen. Die größte Zahl palästinensischer Flüchtlinge gelangte in der Folge der Staatsgründung Interner Link:Israels  1948 in den Libanon, weitere Flüchtlinge kamen 1956 im Zuge der Interner Link:Suezkrise , 1967 als Ergebnis des Interner Link:Sechstagekriegs  und 1970 und 1971, nachdem sie aus Jordanien ausgewiesen worden waren. Der jüngste Zustrom palästinensischer Flüchtlinge in den Libanon erfolgte als Teil der massenhaften Vertreibung der syrischen Bevölkerung seit dem Ausbruch des Bürgerkriegs in Interner Link:Syrien 2011.

 

Alle diese Gruppen haben einen unterschiedlichen Rechtsstatus, der über ihre Rechte und den Zugang zu humanitärer Hilfe entscheidet. Dieser Beitrag nimmt vor allem die in offiziellen Flüchtlingslagern lebenden Palästinenser, die in der Folge des Konflikts von 1948 im Libanon eintrafen sowie deren Nachkommen in den Blick. Er untersucht ihre sozioökonomischen Bedingungen und Rechte, die Haltung der libanesischen Politik und Bevölkerung gegenüber den Palästinensern und analysiert, wie sich die Anwesenheit von Palästinensern aus Syrien in den Flüchtlingslagern auf die bereits seit Jahrzehnten im Libanon lebenden Palästinenser auswirkt.

UNRWA: Das Hilfswerk für palästinensische Flüchtlinge

Das Interner Link:Hilfswerk der Vereinten Nationen für Palästinaflüchtlinge im Nahen Osten (UNRWA)

 unterstützt Palästinenser und ihre Nachkommen in Jordanien, im Libanon, im Westjordanland, im Gazastreifen und in Syrien, die im Zuge des arabisch-israelischen Interner Link:Kriegs von 1948  zu Flüchtlingen wurden. Das Hilfswerk hat seit 1951 seinen Hauptsitz in London und kümmert sich um Gesundheitsversorgung, Bildung sowie Fürsorge für die verwundbarsten Gruppen. Es betreibt Schulen, Kliniken und Gemeindezentren und ist für die Bereitstellung von Dienstleistungen in den offiziellen Flüchtlingscamps zuständig wie die Unterhaltung von Straßen und Abwasserkanälen, die Müllabfuhr und die Wasserversorgung. Das Mandat des UNRWA wird alle drei Jahre verlängert. Das Hilfswerk ist abhängig von freiwilligen Zuwendungen zur Unterstützung seiner Aktivitäten. Seit seiner Gründung ist es von einer Krise in die nächste geschlingert, operiert seit Jahrzehnten unter Sparzwängen und implementiert im Notfallmodus Programme zur Reaktion auf Krisen. Im Interner Link:Libanon  allein hat es zwei Bürgerkriege erlebt, von denen der zweite 15 Jahre dauerte. Es hat die Luftangriffe Israels im Jahr 1996 auf den Libanon (bekannt als "Operation Früchte des Zorns") überstanden, den Krieg zwischen Interner Link:Hisbollah  und Israel 2006 sowie die Zerstörung des Flüchtlingscamps Nahr al-Barid 2007 erlebt. Aktuell ist es mit der Ankunft von zehntausenden Palästinensern aus Syrien konfrontiert. Folglich gestalten sich Programm- und Budgetplanung schwierig und der ständige ad-hoc-Einsatz, um in Krisensituationen humanitäre Hilfe zu leisten, bindet Zuwendungen, die für längerfristige Programme hätten genutzt werden sollen.

 

Die Ursprünge der offiziellen Flüchtlingscamps im Libanon variieren: Einige begannen als informelle Siedlungen von Individuen, die Freunde und Familienmitglieder um sich versammelten, andere wurden von religiösen Gruppen oder vom Interner Link:Roten Kreuz

 gegründet. 1956 waren von den zahlreichen Camps 17 als offizielle Flüchtlingslager anerkannt und das UNRWA übernahm ihre Verwaltung. Im Laufe der Zeit und im Zuge des Bürgerkriegs sind Camps geschlossen, zerstört oder verlassen worden. Am Ende des Bürgerkriegs 1990 blieben nur noch zwölf offizielle Flüchtlingslager übrig, die das UNRWA weiterhin unterstützte.

 

Die Bevölkerung des Aufnahmelandes

Zahlen des UNRWA vom Januar 2015 zeigen, dass 452.669 Palästinenser im Libanon lebten, obwohl die tatsächliche Zahl vermutlich niedriger liegt.Zur Auflösung der Fußnote[2] Dies liegt daran, dass das UNRWA darauf angewiesen ist, dass die anwesenden Palästinenser das Hilfswerk über Veränderungen ihrer Situation informieren, was aber aus verschiedenen Gründen nicht immer geschieht. Zum Beispiel werden Todesfälle teilweise nicht registriert, weil die Familie des Verstorbenen hofft, so weiterhin die Zuwendungen zu erhalten, die für das verstorbene Familienmitglied vorgesehen waren. Oder sie hoffen, die Identitätskarte des Verstorbenen an einen anderen Palästinenser weitergeben zu können, der nicht die Voraussetzungen erfüllt, um sich beim UNRWA zu registrieren. Auch Palästinenser, die auf legalem oder illegalem Wege auswandern, entscheiden sich manchmal dazu, das UNRWA nicht zu informieren, um bei einer möglichen Rückkehr weiterhin Zugang zu dessen Unterstützungsleitungen zu haben. Anders als andere Flüchtlingsgruppen können Palästinenser die Staatsangehörigkeit des Aufnahmelandes haben und doch weiterhin ihren Flüchtlingsstatus behalten, da dieser an das Finden einer endgültigen politischen Lösung zwischen Interner Link:Israel und Palästina geknüpft ist. Daher bleiben Palästinenser auch dann beim UNRWA registriert, wenn sie die Staatsangehörigkeit eines nordamerikanischen oder europäischen Landes erworben haben. Sie gehen davon aus, dass das Recht auf eine Rückkehr in einen möglichen Staat Palästina oder die Entschädigung für Verluste im Zuge des Kriegs von 1948 von ihrer Registrierung beim UNRWA abhängt.

Der Umfang der libanesischen Bevölkerung ist ebenfalls unklar. Die Vereinten Nationen schätzten, dass 2015 etwa fünf Millionen libanesische Staatsangehörige im Libanon lebten.Zur Auflösung der Fußnote[3] Diese Zahlen beruhen auf einer Fortschreibung der Ergebnisse eines umstrittenen Zensus aus dem Jahr 1932. Seitdem hat es keine weitere Volkszählung im Libanon gegeben, da befürchtet wird, dass die Ergebnisse einer solchen die Abkommen zur politischen Machtteilung zwischen den Interner Link:18 offiziell anerkannten Religionsgemeinschaften

 gefährden könnten. Es ist das Bestreben, die empfindliche konfessionsgebundene und politische Balance aufrechtzuerhalten, das den Umgang des Libanon mit den palästinensischen Flüchtlingen bestimmt. Im Ergebnis hat es zur Beschränkung ihres Rechts auf Einbürgerung, auf Bewegungsfreiheit, den Erwerb von Eigentum, den Zugang zu staatlichen Dienstleistungen sowie zum Arbeitsmarkt geführt.

 

Palästinenser stellen ungefähr acht Prozent der Bevölkerung des Libanon.Zur Auflösung der Fußnote[4] Sie sind überwiegend sunnitische Muslime. Das bedeutet, dass sich die Machtbalance zugunsten der Sunniten verschieben würde, würde man ihnen die libanesische Staatsangehörigkeit gewähren. Kurz nach ihrer Ankunft 1948 wurde der Minderheit der christlichen Palästinenser allerdings die libanesische Staatsangehörigkeit angeboten. Ohne Staatsangehörigkeit werden Palästinenser im öffentlichen und politischen Leben marginalisiert und viele ihrer Rechte werden ihnen verwehrt. Ihre Bewegungen im Libanon werden innerhalb und außerhalb der Flüchtlingslager überwacht und sie müssen sich eine Erlaubnis einholen, wenn sie ins Ausland reisen wollen. Ihre Anwesenheit wird für den libanesischen Bürgerkrieg verantwortlich gemacht und ebenso für anhaltende soziale Spannungen und Konflikte mit Israel. Libanesische Staatsangehörige betrachten die Flüchtlingslager allgemein als gesetzlos und die Regierung betont, dass die Aufrechterhaltung der Lager wichtig sei, um die Sicherheit im Land zu gewährleisten.

Leben in den Flüchtlingslagern

Die Flüchtlingslager sind dicht besiedelt und diejenigen, die sich spontan entwickelt haben, sind ein Labyrinth aus engen Straßen und Hauseingängen. Große Familien leben dicht gedrängt in ein oder zwei Zimmern. Diejenigen, die über finanzielle Mittel verfügen, bauen in die Höhe, indem sie ihren Häusern neue Stockwerke hinzufügen, um die wachsende Zahl an Bewohnern unterzubringen. Die mehrstöckigen Gebäude blockieren den Lichteinfall in den Straßen und führen zu hoher Luftfeuchtigkeit, weil die Luft nicht zirkulieren kann. Die Regierung weigert sich aber, zusätzliche Landflächen für die Flüchtlingslager zur Verfügung zu stellen oder die Lager, die während des Kriegs ganz oder teilweise zerstört wurden, wieder aufzubauen. Folglich ist ihre Fläche im Jahr 2016 kleiner als vor sieben Jahrzehnten, als die Palästinenser im Libanon ankamen und ihre Bevölkerung etwa 100.000 Personen umfasste.

Zur Auflösung der Fuß

Palästinenser, die in illegalen Siedlungen leben oder sich in den Randgebieten der offiziellen Flüchtlingslager niederlassen, sind von Zwangsräumungen bedroht. Andere Palästinenser leben in Privatwohnungen außerhalb der Flüchtlingslager. Da es ihnen aber nicht erlaubt ist, Eigentum zu besitzen, sind sie darauf angewiesen, dass ein Freund oder ein Familienmitglied mit libanesischer oder einer anderen Staatsangehörigkeit das Eigentum in ihrem Namen eintragen lässt. Verschlechtert sich das Verhältnis zum Treuhänder, riskieren Palästinenser den Verlust ihrer Investition.

Palästinenser, die keine andere Möglichkeit haben, verbleiben in den Flüchtlingslagern, die zunehmend überfüllt sind und deren unzureichende Infrastruktur zunehmend überlastet und reparaturbedürftig ist. Die Abwasserkanäle überfluten regelmäßig und überziehen die Straßen mit stinkendem braunem Schlamm. Die Wasserleitungen sind undicht und führen kein Trinkwasser, obwohl viele Lagerbewohner darauf angewiesen sind, dieses Wasser zu trinken, weil sie es sich nicht leisten können, Trinkwasser zu kaufen. Die Stromversorgung erfolgt über ein gefährliches Gewirr an Leitungen, die die Camps kreuz und quer überziehen und mit den tropfenden Wasserleitungen verflochten sind. Mittelkürzungen bedeuten, dass das UNRWA keine angemessene Gesundheitsversorgung und (Aus-)Bildung anbieten kann und Palästinenser zunehmend dazu auffordert, diese Dienstleistungen mitzufinanzieren. Palästinenser haben keinen Zugang zum staatlichen Bildungs- und Gesundheitssystem, auch wenn beide allgemein von geringer Qualität sind. Die Dienstleistungen des UNRWA haben immer noch einen besseren Ruf als staatliche Leistungen, obwohl Palästinenser die abnehmende Qualität der UNRWA-Leistungen beklagen. Die Unterstützungsleistungen des UNRWA werden durch unzählige nationale und internationale Nichtregierungsorganisationen und religiöse Organisationen bezuschusst.

Die Einschränkung des Rechts, arbeiten zu dürfen, hat vermutlich die größten Auswirkungen auf das Leben der Palästinenser im Libanon. Sie sind von den meisten Berufen ausgeschlossen. Dies beschränkt ihre Beschäftigungsmöglichkeiten auf die Flüchtlingslager, wo es aber nur eine geringe Zahl an Klienten und wenig finanzielle Ressourcen gibt, oder auf eine illegale Beschäftigung. Illegal beschäftigte Palästinenser müssen aber in Kauf nehmen, dass sie weniger verdienen als libanesische Arbeitskräfte im selben Beruf und ihnen am Arbeitsplatz keine Rechte gewährt werden. Trotz der fehlenden Arbeitsmöglichkeiten versuchen viele Familien, in die Ausbildung ihrer Kinder zu investieren und ermuntern sie dazu, die vom UNRWA geführten Schulen zu besuchen, sich um Stipendien zu bewerben oder Entbehrungen in Kauf zu nehmen, um Plätze an privaten Schulen oder Universitäten zu finanzieren. In den Flüchtlingslagern leben viele gut ausgebildete Palästinenser mit Abschlüssen in Medizin, Ingenieurswissenschaften oder Jura. Sie haben aber nur geringen Aussichten darauf, ihr Wissen und ihre Fähigkeiten in der Praxis anwenden zu können. Es fällt Palästinensern schwer, ihre eigene Situation zu verbessern, denn sie haben nur begrenzte Möglichkeiten, ein Einkommen zu erzielen. Die Armut und der Mangel an Zielen und Zukunftsperspektiven haben tiefgreifende negative Auswirkungen auf die seelische und körperliche Gesundheit und werden als Faktoren betrachtet, die zu verschiedenen sozialen Problemen wie Drogenmissbrauch und häuslicher Gewalt beitragen können.

Palästinensische Flüchtlinge aus Syrien

Nach Angaben des UNRWA haben rund 53.000 Palästinenser, die zuvor in Syrien als Flüchtlinge registriert waren, vor dem Bürgerkrieg in Syrien im Libanon Schutz gesucht.Zur Auflösung der Fußnote[6] Einige von ihnen leben nun in den offiziellen Flüchtlingslagern und erhalten weiterhin Zuwendungen vom UNRWA. Ihre Anwesenheit verschärft die Überfüllung der Camps und den Druck auf die bereits begrenzten Ressourcen. Wenig überraschend führt dies zu Spannungen zwischen den Palästinensern aus dem Libanon und denjenigen aus Syrien. Beide Flüchtlingsgruppen haben sehr unterschiedliche Erfahrungen gemacht. Die Palästinenser aus dem Libanon kritisieren die Palästinenser aus Syrien dafür, nicht für ihren Lebensstil gekämpft zu haben, insbesondere, weil Palästinenser in Syrien eine deutlich bessere Lebensqualität genossen als diejenigen im Libanon. Im Libanon kämpften Palästinenser während des Bürgerkriegs für ihre eigene Sache. Schließlich verloren sie und ihre Situation hat sich seit dem Ende des Kriegs verschlechtert. Dennoch argumentieren sie, dass sie es versucht hätten, während die Palästinenser aus Syrien einfach nur geflohen seien.

Weil sie in Syrien staatliche Leistungen kostenlos in Anspruch nehmen konnten, wehren sich Palästinenser aus Syrien im Libanon gegen die Beiträge, die sie dort für das Gesundheits- und Bildungssystem aufbringen müssen. Sie können nicht verstehen, wie Palästinenser im Libanon überlebt haben und rühmen ihr gutes Leben in Syrien. Umgekehrt tadeln die Palästinenser aus dem Libanon die Erwartungshaltung der Palästinenser aus Syrien und bemängeln, dass sie das Leben, das sie in Syrien hatten, nicht genug gewürdigt hätten. Palästinenser aus Syrien hadern immer noch damit, die schlechtbezahlten Arbeiten anzunehmen, die Palästinenser aus dem Libanon akzeptieren. Stattdessen glauben sie, dass es bessere Möglichkeiten für sie geben muss. Auch dafür werden sie von den Palästinensern aus dem Libanon kritisiert.

Palästinenser im Libanon: die Zukunft

Die Palästinenser aus Syrien stellen eine zusätzliche Belastung für das Leben in den Flüchtlingslagern dar. Ihre Anwesenheit trägt dazu bei, dass für die Versorgung der Palästinenser aus dem Libanon immer weniger Mittel zur Verfügung stehen. Es gibt keinen Anlass zur Hoffnung, dass sich die Lebensbedingungen von Palästinensern im Libanon verbessern werden, auch dann nicht, wenn diejenigen aus Syrien das Land wieder verlassen. Seit ihrer Ankunft im Libanon hat sich die Situation der Palästinenser verschlechtert. Die Interner Link:komplexen religiösen und politischen Dynamiken

 im Libanon bedeuten, dass ein deutlicher Kurswechsel der Regierung und in der Haltung der Bevölkerung gegenüber den Palästinensern unwahrscheinlich ist; schließlich wird die Anwesenheit von palästinensischen Flüchtlingen als Bedrohung von Stabilität und Sicherheit betrachtet.