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Ausverkauf der Menschenrechte: Deutschland stimmt für Aushebelung des Flüchtlingsschutzes

                                                                               09.06.2023 

 

Beim Rat der EU-Innenminister*innen wurde sich auf eine Reform des europäischen Asylsystems geeinigt, die Haftzentren an den Außengrenzen und Abschiebungen in fast beliebige außereuropäische Staaten vorsieht. Solidarisches Aufnahmesystem? Fehlanzeige. Auch die deutsche Bundesregierung stimmte dem Ausverkauf der Menschenrechte zu

 

 

Haftlager an den Außengrenzen und Abschiebungen in Drittstaaten:

Ist das die Zukunft?

 

Eigentlich lagen die Mitgliedstaaten in den letzten Tagen in ihren Positionen sehr weit auseinander und deutsche Politiker*innen verkündeten vollmundig, bestimmte Aspekte der Vorschläge – wie die Inhaftierung von Kindern in Grenzverfahren – nicht mittragen zu wollen. Doch dann wurde offenbar in Luxemburg beim Rat der EU-Innenminister*innen unter hohem Einigungsdruck verhandelt und um 21 Uhr wurde gemeldet: Es steht eine Einigung zwischen einer Mehrheit der Mitgliedstaaten über die in vielen Punkten katastrophalen Vorschläge.

Angesichts der Vorschläge macht es sprachlos, dass die deutsche Innenministerin Nancy Faeser bei Twitter diesen Ausverkauf der Menschenrechte als »historischen Erfolg« verkauft.

PRO ASYL hat seit Wochen und Monaten auf die Gefahren der Asylverfahrensverordnung (AVVO) und der Asyl- und Migrationsmanagement-Verordnung (AMM-VO) hingewiesen. Mit der Einigung der Mitgliedstaaten ist der entscheidende Schritt hin zu einem tatsächlichen Gesetzesbeschluss getan. Zwar müssen die Mitgliedstaaten nun noch mit dem Europäischen Parlament verhandeln, doch ob die Reform so noch gestoppt wird, ist mehr als fraglich.

AKTION: WIR WOLLEN EIN ANDERES EUROPA!

Werden durch die Reform neue Morias verhindert? Nein, aber mehr Haft wird die Zukunft sein!

 

Seit der Bekanntgabe der Ergebnisse versuchen Mitglieder der Bundesregierung angestrengt, die Zustimmung als Erfolg zu präsentieren. Außenministerin Annalena Baerbock lobte die Einigung, sie sei »seit Jahren überfällig, um zu verhindern, dass es wieder zu Zuständen an den EU-Außengrenzen wie in Moria kommt«. Doch das Gegenteil ist der Fall, denn durch die Reform sollen Grenzverfahren wie auf den griechischen Inseln verschärft werden. Auch nach dem geltenden Recht, das bereits verpflichtende Aufnahmestandards vorsieht, hätte es nie zu solchen Zuständen wie in dem griechischen Elendslager Moria aus Lesbos, das 2020 abbrannte, kommen dürfen. Die katastrophalen Zustände waren aber zur Abschreckung politisch gewollt – und das wird sich nicht ändern, denn es wird weiterhin nicht im Interesse der Außengrenzstaaten sein, menschenwürdige Bedingungen an ihren Außengrenzen zu gewährleisten. Denn effektive Solidarität im Sinne von Umverteilung von Flüchtlingen ist in der Reform nicht vorgesehen.

Broschüre

 

 

Wenn Menschenrechte verschwinden

 

Durch den starken Fokus auf Grenzverfahren, die mit Verabschiedung der Reform verpflichtend sein werden, ist die Gefahr menschenrechtswidriger Zustände an den Außengrenzen noch größer. Während Grenzverfahren bislang nur vier Wochen dauern dürfen, wird diese Zeit auf bis zu 12 Wochen verdreifacht – mit Option der Verlängerung auf 16 Wochen für den Rechtsbehelf. Damit werden Schutzsuchende nur für das Asylverfahren schon vier Monate an den Außengrenzen festgehalten, und zwar absehbar hinter Stacheldraht und Mauern.

Während Grenzverfahren bislang nur vier Wochen dauern dürfen, wird diese Zeit auf bis zu 12 Wochen verdreifacht.

Denn während der Grenzverfahren sollen Schutzsuchende, obwohl sie eindeutig auf europäischem Territorium sind, als »nicht eingereist« gelten. Absehbar führt dies zur Inhaftierung der asylsuchenden Menschen. Unter Haftbedingungen sind aber faire Asylverfahren nicht möglich: Die Menschen sind oft noch von der Flucht traumatisiert und in einem psychischen Ausnahmezustand, eine Inhaftierung belastet sie zusätzlich und wirkt wie eine Bestrafung dafür, einen Asylantrag gestellt zu haben. Unabhängige Unterstützung für die Schutzsuchenden wird kaum möglich sein. Schon jetzt ist beispielsweise in den »geschlossenen Einrichtungen« in Griechenland der Zugang für NGOs nicht gewährleistet und selbst für Rechtsanwält*innen in der Praxis oft eingeschränkt. Unter solchen Bedingungen kommt es absehbar zu falschen Ablehnungen, was für die Betroffenen fatale Konsequenzen bis hin zur Abschiebung haben kann. Insgesamt sollen stets 30.000 Plätze für solche Grenzverfahren in der EU bereitgehalten werden. Pro Jahr können so 120.000 schutzsuchende Menschen inhaftiert werden! An das Asylgrenzverfahren schließt sich bei Ablehnung ein bis zu 12-wöchiges Abschiebungsgrenzverfahren (bis zu 18 Monate) an und dann könnte zusätzlich noch Abschiebungshaft angeordnet werden. Damit könnten Personen bis zu zwei Jahren an den Grenzen inhaftiert werden.

120.000

Inhaftierungen von Schutzsuchenden p.a. möglich

Flüchtlinge aus Syrien oder Afghanistan kommen nicht in die Grenzverfahren? Doch!

 

Laut den Vorschlägen sollen bestimmte Personengruppen stets ins Grenzverfahren kommen. Dies soll u.a.bei Staatsangehörigen der Fall sein, bei denen die EU-weite durchschnittliche Anerkennungsquote eines Herkunftsstaates unter 20 Prozent liegt. Dazu zählten im Jahr 2021 laut EU-Asylagentur unter anderem auch Russland, Pakistan, Nigeria und Bangladesch. Diese Einstufung missachtet das individuelle Recht auf Asyl und verkennt, dass auch in »Nichtkriegsgebieten« bestimmte vulnerable Gruppen von Verfolgung bedroht sein können. Auch Kinder werden hiervon betroffen sein. Die deutsche Bundesregierung hat für keine Ausnahme gesorgt. Nur sogenannte unbegleitete Minderjährige sollen in der Regel ausgenommen werden – andere Kinder müssen mit ihren Angehörigen hinter den Stacheldraht.

Auch Kinder werden hiervon betroffen sein. Die deutsche Bundesregierung hat für keine Ausnahme gesorgt.

Das schließt aber, im Gegensatz zu dem, was Innenministerin Faeser und Außenministerin Baerbock behaupten, überhaupt nicht aus, dass auch Schutzsuchenden zum Beispiel aus Syrien oder Afghanistan in die Grenzverfahren kommen. Denn dies wäre schon der Fall, wenn sie ohne Reisepass ankommen und ihnen vorgeworfen wird, dass sie diesen absichtlich entsorgt haben. Außerdem können die Mitgliedstaaten entscheiden, das Grenzverfahren darüber hinaus noch auf weitere Asylsuchende auszuweiten – etwa auf alle Personen, die über einen angeblich »sicheren Drittstaat« gekommen sind (siehe auch Erwägungsgrund 40b der Asylverfahrensverordnung: »In other cases, such as when the applicant is from a safe country of origin or a safe third country, the use of the border procedure should be optional for the Member States«). Das würde zum Beispiel in Griechenland de facto alle syrischen und afghanischen Flüchtlinge treffen, da Griechenland die Türkei als »sicher« ansieht.

 

FAQ

zur geplanten Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS)

 

Der Flüchtlingsschutz in Europa wurde doch jetzt gerettet? Von wegen!

 

Die nun beschlossene Position der Mitgliedstaaten sieht die weitgehende Möglichkeit der Aushebelung des Flüchtlingsschutzes durch Deals mit außereuropäischen Drittstaaten vor. Das läuft in der Praxis wie folgt: In jedem Asylverfahren – auch in den diskutierten Grenzverfahren – kann zuallererst entschieden werden, ob ein Asylantrag überhaupt zulässig ist. Wer über einen angeblich sicheren Drittstaat kommt, wird unabhängig von den eigentlichen Fluchtgründen abgelehnt. Mit der Reform soll diese »Vorprüfung« stark ausgebaut werden. Denn weil die EU aktuell nicht von funktionierenden Demokratien mit guten Schutzsystemen umgeben ist, werden die Kriterien massiv gesenkt, damit unsichere Staaten für sicher erklärt werden können. Es müsste nun auch nicht mehr das ganze Land sicher sein, Teilgebiete sollen ausreichen können. Besonders dramatisch ist eine solche Zulässigkeitsprüfung in den Grenzverfahren, da in diesen Klagemöglichkeiten eingeschränkt sind und rechtliche Unterstützung nicht ausreichend vorhanden sein werden. So werden Abschiebungen in unsichere Drittstaaten und (Ketten-)Abschiebungen in die Verfolgung ins Herkunftsland möglich.

Stark diskutiert wurde bis zuletzt die Frage, welche Verbindung es zwischen der in der EU schutzsuchenden Person und dem »sicheren Drittstaat« geben muss. Hardliner wie zum Beispiel der österreichische Innenminister Karner forderten offensiv das »Ruanda-Modell«, also Asylsuchende in quasi egal welchen Drittstaat abschieben zu können, egal ob die Person das Land je betreten hat. Auch die italienische Ministerpräsidentin Meloni hatte wohl ein starkes Interesse an der Frage und ist aktuell besonders viel in Tunesien unterwegs – wohl um einen möglichen Flüchtlingsdeal anzubahnen. Beschlossen wurde jetzt, dass es weiterhin eine Verbindung geben muss, die einen Verweis auf den Schutz in dem Drittland »vernünftig« erscheinen lässt (so auch die aktuelle Formulierung der Asylverfahrensrichtlinie). Ausnahme ist, dass die Person zustimmt, in den Drittstaat zu gehen. In den Verhandlungen wurde zudem im erklärenden Erwägungsgrund betont, dass es die Mitgliedstaaten sind, die entscheiden, was eine solche Verbindung wirklich ist. Damit könnte potenziell in der nationalen Praxis von zum Beispiel Italien minimaler Gebietskontakt ausreichen, damit eine schutzsuchende Person in den Drittstaat zurückgeschickt wird. Ein »Ruanda-Modell« in der EU ist zwar so – hoffentlich – erstmal nicht möglich. Aber desaströse Deals mit allen Staaten auf den Fluchtrouten können weiterhin möglich sein, wie aktuell bereits zwischen der EU und der Türkei.

Jede Spende schützt Flüchtlinge

Aber jetzt gibt es doch einen Solidaritätsmechanismus? Aber ohne verpflichtende Umverteilung von Geflüchteten!

 

Zunächst muss festgehalten werden, dass mit der Reform wird das Grundproblem des europäischen Aufnahmesystems nicht gelöst. Denn obwohl das Dublin-System nach einhelliger Meinung gescheitert ist, wird weiterhin an dessen Grundprinzip der Verantwortung des Ersteinreisestaats festgehalten. Durch die neuen verpflichtenden Grenzverfahren werden Aufwand und Verantwortung für die Außengrenzstaaten sogar absehbar höher als bisher. Eine vergleichbare Entlastung von ihnen durch die Umverteilung von Geflüchteten ist zwischen den Mitgliedstaaten nicht beschlossen worden.

 

Neben dem noch strengeren Dublin-System (u.a. schnellere Abläufe für die Rücküberstellung, eingeschränkter Rechtsschutz und auch Rücküberstellung von unbegleiteten Minderjährigen) soll es zukünftig einen ziemlich komplizierten Solidaritätsmechanismus geben für den Fall, dass Mitgliedstaaten unter »Migrationsdruck« stehen. Zwar sind Mitgliedstaaten dann verpflichtet, Solidaritätsbeiträge zu leisten – aber in welcher Form wird ihnen überlassen. Und hier ist die Übernahme bzw. Umverteilung (sogenannte relocation) von Asylsuchenden oder Flüchtlingen damit gleich gestellt, einfach Geld zu zahlen, sogar an außereuropäische Drittstaaten zur Flüchtlingsabwehr. Als Ziel wird eine Umverteilung von 30.000 Menschen pro Jahr. Wenn ein Staat nicht aufnehmen will, müssen sie 20.000 € pro nicht aufgenommener Person zahlen. Damit ist eine wirksame Entlastung der Außengrenzstaaten nicht sichergestellt.

 

Grenzen schließen und abschieben?

Die Vorschläge von Friedrich Merz im PRO ASYL Faktencheck

 

Eine neue Idee in den nun von den EU-Innenminister*innen beschlossenen Ratspositionen sind die sogenannten »responsibility offsets«. Dies kann als eine Art ergänzende Form der Solidarität angewendet werden und Deutschland könnte dann z. B. anstatt Geflüchtete wie abgemacht aus Griechenland zu übernehmen, keine Rücküberstellungen nach Griechenland durchführen. Wenn sich der überlastete Mitgliedstaat aber nicht an die verschärften Dublin-Regeln der AMM-Verordnung hält, so müssen die anderen Mitgliedstaaten ihm keine Solidarität zeigen oder die Aussetzung der Rücküberstellungen (»responsibility offsets«) anwenden.

Diese Reform ist notwendig, weil sie die Kommunen entlasten wird? Das stimmt nicht!

 

Auch das Argument, wie von Justizminister Marco Buschmann bei Twitter vorgebracht, dass nun die Kommunen in Deutschland entlastet werden, ist völlig fehlgeleitet. Denn erstmal muss diese Reform noch zwischen Europaparlament und Rat final verhandelt und beschlossen werden. Dann gibt es eine Umsetzungsfrist, bevor die neuen Rechtseinschränkungen überhaupt greifen. Es können also leicht bis zu drei Jahre vergehen, bis die Reform wirksam in Kraft ist. Für die Kommunen wird dies also aktuell keinen Unterschied machen und ob dies in Zukunft der Fall sein wird, ist ebenso fraglich. Denn es darf nicht vergessen werden: Die Reform wird auch in Deutschland gelten und hier zu starken Rechtsänderungen führen, die erstmal umgesetzt werden müssen. Und wenn sich die Lage an den Außengrenzen so verschärft, werden viele Schutzsuchende erst recht versuchen, in anderen Mitgliedstaaten Schutz zu bekommen.

 

(wj)

 


Hier sehen Sie eine Information der Bundeszentrale für politische Bildung (c) Klick mich

(Zugriff: 14.10.2024, 18:26 Uhr)

 

Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems

 / 7 Minuten zu lesen

Das Gemeinsame Europäische Asylsystem (GEAS) wird reformiert. Der Rat der Europäischen Union und das EU-Parlament haben sich auf für die Mitgliedstaaten verbindliche Richtlinien geeinigt.

Farbfoto: Eine lange graue Mauer nimmt die rechte Seite des Bildes ein. Mittig ist ein Schotterweg zu erkennen und links davon sieht man einen Grenzturm sowie Bäume und Büsche.
Dieser Grenzzaun befindet sich zwischen der Türkei und Griechenland an der EU-Außengrenze. (© picture-alliance, NurPhoto | Nicolas Economou)

Nachdem sich im Dezember 2023 die Europäische Kommission, der Rat der EU und die Mehrheit des Europäischen Parlaments auf eine umfassende Reform des Externer Link:Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS) geeinigt hatten, haben am 14. Mai 2024 der Rat der EU und das Europäische Parlament die Reform beschlossen. Sie gilt als weitreichendste Änderung der vergangenen Jahrzehnte. Während nun europaweit ein einheitlicheres Vorgehen in der Migrationspolitik zu erwarten ist, wird eine repressive Verschärfung kritisiert, die den Zugang zu einem vollwertigen Asylverfahren und das Recht auf Schutz massiv erschweren würde. Wesentlicher Kern der Reform besteht darin, alle an den EU-Außengrenzen ankommenden Schutzsuchenden in einem Screening-Verfahren zu registrieren und ihren potenziellen Anspruch auf einen Schutzstatus zu prüfen. Vorgesehen ist, dass innerhalb von zwölf Wochen über einen Asylantrag entschieden wird. Um Staaten mit einer hohen Zahl an Schutzsuchenden zu entlasten, wird ein verpflichtender Solidaritätsmechanismus eingeführt. Auf diese Weise sollen Flüchtlinge EU-weit gerechter verteilt werden.

Notwendigkeit eines gemeinsamen EU-Asylsystems

Ab Mitte der 1990er-Jahre wurde mit dem Interner Link:Schengener Abkommen

 der freie Personenverkehr zwischen den Ländern des Interner Link:europäischen Binnenmarktes  eingeführt. Da Grenzkontrollen innerhalb Europas größtenteils wegfielen, wurden Regelungen zur Einreise an den europäischen Außengrenzen nötig. Das im September 1997 in Kraft getretene Interner Link:Dubliner Übereinkommen  regelt unter anderem, welcher Staat für die Prüfung eines Asylantrags zuständig ist. Das Übereinkommen wurde 2003 durch die Dublin-Verordnung abgelöst („Dublin II“), die 2013 noch einmal aktualisiert wurde („Dublin III“).

 

Das Dublin-System sieht vor, dass immer nur ein EU-Staat für die Prüfung eines Asylantrags zuständig ist. In der Regel ist das der Staat, in den der Antragsteller zuerst eingereist ist. Damit soll sichergestellt werden, dass Anträge nicht gleichzeitig oder nacheinander in mehreren Mitgliedstaaten gestellt werden oder das Zielland beliebig ausgewählt werden kann. Gleichzeitig soll es aber auch verhindern, dass Asylsuchende von Staat zu Staat weitergereicht werden Interner Link:(„refugees in orbit“)

. In diesem Zusammenhang können Behörden in der Fingerabdruck-Datenbank Interner Link:Eurodac  überprüfen, ob Asylsuchende bereits einen Antrag in einem anderen Mitgliedstaat gestellt haben.

 

Das bisherige EU-Asylsystem und seine Reform

Bis zur Reform im Mai 2024 bestand das Interner Link:Gemeinsame Europäische Asylsystem (GEAS)

 aus zwei Verordnungen (Dublin- und Eurodac-Verordnung) und drei Richtlinien (Qualifikations-, Aufnahme-, Asylverfahrensrichtlinie). Das GEAS definiert Mindeststandards für den Interner Link:Ablauf von Asylverfahren und den Umgang mit Asylsuchenden . Über ihre Verteilung in der EU hat es immer wieder Konflikte gegeben.

 

Laut Europäischem Parlament nahm zwischen 2008 und 2017 ein Drittel der Mitgliedstaaten 90 Prozent der Asylbewerbenden in der EU auf. Insbesondere die Interner Link:sogenannte „Flüchtlingskrise“ der Jahre 2015 und 2016

 hat verdeutlicht, dass das Dublin-System strukturelle Schwächen und Probleme bei der Umsetzung aufweist, indem es einigen wenigen Mitgliedstaaten unverhältnismäßig hohe Verantwortung bei der Aufnahme Geflüchteter aufbürdet.

 

 

Mehr als zwei Drittel der Asylanträge in vier Staaten

Die höchste Zahl an Asylanträgen in der EU wurde 2015 (1.322.850 Millionen) und 2016 (1.260.920) registriert. Bis 2020 sank diese Zahl auf 472.660 – insbesondere die Covid-19-Pandemie hatte vorübergehend zu einem Rückgang der Migration geführt –, um dann laut der Interner Link:Asylagentur der Europäischen Union (EUAA

) im vergangenen Jahr auf über 1,1 Millionen Asylanträge zu steigen – ein Anstieg um 18 Prozent im Vergleich zu 2022. Die meisten Schutzsuchenden kamen 2023 aus Syrien (181.000), zudem waren unter den Flüchtlingen besonders viele Menschen aus Afghanistan (114.000), der Türkei (101.000), Venezuela (68.000) und Kolumbien (63.000). Geflüchtete aus der Ukraine sind hierbei nicht eingerechnet, da sie in der EU „vorübergehenden Schutz“ genießen und visafrei einreisen können.

 

Mit 334.000 entfielen nach EUAA-Angaben 29 Prozent der Asylanträge auf Deutschland. Mehr als zwei Drittel der Anträge wurden in lediglich vier EU-Staaten gestellt – neben der Bundesrepublik waren dies Spanien, Frankreich und Italien. Die Erstaufnahme von Geflüchteten, die Europa über das Mittelmeer erreichen, konzentrierte sich in den vergangenen zwei Jahrzehnten vor allem auf die südeuropäischen Länder – weswegen fortwährend Forderungen nach einer gerechten Lastenteilung laut wurden.

Um eine Reform des Asylsystems wird deshalb seit vielen Jahren gerungen. Am 8. Juni 2023 konnte sich der Rat der EU mit einer qualifizierten Mehrheit auf zentrale Elemente einer Reform der Asylverfahrensordnung und des Asyl- und Migrationsmanagements einigen. Grundlage für diese Verhandlungen war ein Vorschlag der EU-Kommission von 2020. Der Rat der EU einigte sich mit dem Parlament Interner Link:im Dezember 2023

 auf die Details der Reform. Das Parlament nahm den Kompromiss Interner Link:im April  an, der Rat Mitte Mai.

 

 

Kernpunkte der Reform

Wie bisher ist für die Asylverfahren vorgesehen, dass das Land zuständig ist, in das eine schutzsuchende Person als erstes eingereist ist. Jedoch wurde die Überstellungsfrist deutlich verlängert, wenn eine Person aus dem eigentlich zuständigen EU-Land in ein anderes weitermigriert ist (Sekundärmigration).

Die GEAS-Reform besteht aus zehn Rechtsakten. Die Reform sieht beispielsweise einen wirksamen Grenzschutz an den europäischen Außengrenzen vor, dazu gehört die Etablierung einheitlicher Standards für Registrierungen oder Verfahren. Die durchzuführenden Verfahren sollen generell vereinheitlicht werden. Auch sollen die Asylbewerbenden nach einem verbindlichen solidarischen Mechanismus zwischen den Mitgliedstaaten verteilt werden.

Asylverfahrens-Verordnung
Die Asylverfahrens-Verordnung hat zum Ziel, Asylverfahren EU-weit zu vereinheitlichen und schneller durchzuführen, insbesondere bei Schutzsuchenden, deren Anträge höchstwahrscheinlich erfolglos bleiben werden. Rechtsstaatliche Grundsätze und verbindliche Standards (z. B. angemessene Lebensstandards, medizinische Grundversorgung, Zugang zu Bildung) sollen eingehalten werden.

Künftig sollen die zuständigen Behörden an den EU-Außengrenzen innerhalb von zwölf Wochen über einen Asylantrag entscheiden. Zuständig sind ausschließlich EU-Mitgliedstaaten.

Personen, bei denen eine Gefahr für die nationale Sicherheit oder die öffentliche Ordnung vermutet wird, die die Behörden über ihre Identität getäuscht haben oder aus Ländern kommen, bei denen die Anerkennungsquote in Asylverfahren bei unter 20 Prozent liegt, sollen in grenznahen Einrichtungen oder Transitzonen untergebracht werden. Sie dürfen nicht in das Hoheitsgebiet der EU einreisen. Zwar sollen sich diese Asylzentren auf EU-Gebiet befinden, doch gelten sie in dieser Zeit als nicht-eingereist (sogenannte Fiktion der Nichteinreise). Menschenrechtsorganisationen kritisieren die Unterbringung in solchen Einrichtungen als haftähnliche Bedingungen. Ausgenommen von dieser Regel sind unbegleitete Minderjährige oder wenn speziellen Unterbringungsbedürfnissen nicht entsprochen werden kann (z. B. Schwangere, Minderjährige, Menschen mit Behinderungen).

Die Rückkehrgrenzverfahrens-Verordnung ist an die Asylverfahrens-Verordnung gekoppelt und regelt das Verfahren an der Grenze nach Ablehnung eines Antrags auf Asyl.

Verordnung über Asyl- und Migrationsmanagement

Ziel ist es, ein abgestimmtes Vorgehen von Europäischer Union und Mitgliedstaaten sicherzustellen, die Idee eines Verteilsystems soll grundsätzlich erhalten bleiben. Dabei soll es eine dauerhafte und verpflichtende Solidarität unter den EU-Mitgliedstaaten geben, wobei jedes Land wählen können soll, ob es Asylbewerber aufnimmt, alternative oder finanzielle Beiträge leistet oder sich an Relocations (Übernahme von Personen) beteiligt.

Auf Basis eines sogenannten Solidaritätspools sollen eine jährliche Mindestzahl von 30.000 Relocations und finanzielle Beiträge in Höhe von 600 Millionen Euro festgelegt werden. Steht ein Land unter besonderem Migrationsdruck, können die anderen Länder sich durch Ausgleichszahlungen oder unterstützende Maßnahmen im Rahmen des Solidaritätsmechanismus beteiligen.

Ausbau der Datenbank Eurodac

Die Eurodac-Datenbank soll erweitert werden. Um einreisende Personen besser zu identifizieren, sollen neben Fingerabdrücken künftig auch Gesichtsbilder erfasst werden. Nicht nur sollen damit Wanderungsbewegungen innerhalb der EU besser nachvollzogen werden können, darüber hinaus soll auf diese Weise irreguläre Sekundärmigration verhindert werden. Die Erfassung biometrischer Daten wird künftig ab sechs statt ab 14 Jahren verpflichtend.

Screening-Verordnung

An der EU-Außengrenze ankommende Flüchtlinge sollen möglichst zügig einer ersten Prüfung unterzogen werden, die in der Regel innerhalb von sieben Tagen vollzogen werden soll. Geprüft werden Identität, Gesundheit und Schutzbedürftigkeit, zudem sollen Sicherheitsüberprüfungen durchgeführt werden.

Krisen-Verordnung

Im Krisenfall oder in Fällen höherer Gewalt können die Mitgliedstaaten künftig von bestimmten Vorschriften zum Asyl- und Rückkehrverfahren abweichen und andere EU-Länder um verstärkte Solidarität ersuchen. Ein Krisenfall kann etwa eintreten, wenn die Zahl der ankommenden Migrantinnen und Migranten besonders hoch ist. in Ausnahmesituationen können z. B. die Fristen zur Registrierung von Asylbewerbern verlängert oder vom üblichen Grenzverfahren abgewichen werden. Der Solidaritätsmechanismus soll auch im Krisenfall gelten – so sollen vor allem die EU-Staaten an den EU-Außengrenzen entlastet werden.

Zu den weiteren Rechtsakten gehören die Aufnahme-Richtlinie (Mindeststandards für menschenwürdige Aufnahmebedingungen), die Anerkennungs-Verordnung (zur Festlegung eines einheitlichen internationalen Schutzstatus'), die Resettlement-Verordnung (zwecks einheitlicher Regelungen für eine legale und sichere Einreise von Drittstaatsangehörigen und Staatenlosen) sowie die EU-Asylagentur-Verordnung (Umwandlung des Interner Link:Europäischen Unterstützungsbüros für Asylfragen

 zur vollwertigen EU-Agentur).

 

Wie geht es weiter?

Die EU-Mitgliedstaaten haben nun zwei Jahre Zeit, um die vom Rat der EU und dem Europäischen Parlament verabschiedeten Rechtsakte in die Praxis umzusetzen. Die Europäische Kommission hat am 12. Juni einen gemeinsamen Umsetzungsplan vorgelegt, um die Mitgliedstaaten bei diesem Verfahren zu unterstützen. Denn viele Fragen der praktischen Umsetzung der neuen Asylregularien sind noch offen: Etwa die, welche Staaten als „sichere Drittstaaten“ eingestuft werden und wo Aufnahmezentren und Transitzonen an den EU-Außengrenzen errichtet werden sollen.