Kinder und Jugendliche, die nach Deutschland flüchten, sind in besonderem Maße schutzbedürftig. Das gilt umso mehr, wenn sie ohne Eltern oder Familie geflohen sind. Für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge (kurz: UMF oder auch UMA) gelten besondere Regelungen, die der MEDIENDIENST hier zusammengestellt hat.
Alleinreisende Flüchtlinge unter 18 Jahren werden von den Jugendämtern in Obhut genommen. Das Jugendamt organisiert die Betreuung und Unterbringung. Ende 2022 befanden sich rund 27.900 unbegleitete Minderjährige und junge Volljährige in Zuständigkeit der Jugendhilfe (Stand: 13.1.2023). Rund 4.000 unbegleitete Minderjährige kamen 2022 aus der Ukraine. Es ist allerdings nicht klar, wie viele von ihnen in Deutschland geblieben sind.
Seit Ende 2015 ist die Zahl der Minderjährigen und junge Volljährigen in Zuständigkeit der Jugendhilfe stark zurückgegangen: Damals waren es etwa 66.000. Viele
dürften inzwischen so alt geworden sein, dass die Jugendhilfe nicht mehr für sie zuständig ist.Quelle
Viele Personen, die als unbegleitete minderjährige Flüchtlinge ("UMF" oder "UMA", "unbegleitete minderjährige Ausländer") nach Deutschland kamen, sind inzwischen volljährig. Damit gehören sie zur Gruppe der "unbegleiteten jungen Ausländer". Grundsätzlich ist es möglich, dass sie auch als Volljährige weiterhin von der Jugendhilfe betreut werden – unter Umständen bis sie 27 Jahre alt sind.Quelle
Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge: Einreisen, Inobhutnahmen und Asylverfahren
Es gibt verschiedene Statistiken, in denen die UMF bzw. UMA erfasst werden. In den Bestandszahlen des Bundesverwaltungsamtes werden alle ausländischen Kinder und Jugendlichen zu bestimmten Stichtagen erfasst, die von Jugendämtern betreut werden ("Jugendhilfe-Statistik"). Eine Statistik dazu, wie viele neu einreisen, gibt es nicht. Häufig wird auf die Zahlen der Inobhutnahmen oder der Asylanträge verwiesen. Daraus lassen sich aber die neuen Einreisen nicht ablesen.Quelle
Im Laufe des Jahres 2021 wurden rund 2.064 unbegleitete minderjährige Flüchtlinge als vermisst gemeldet (Stand: 13. Januar 2021). Allerdings sind die Vermisstenzahlen bei unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen nicht verlässlich, darauf weist das Bundeskriminalamt hin. Die Zahlen sind vermutlich zu hoch, schätzen Expert*innen. Die meisten Meldungen (etwa 1.500) wurden noch im Jahresverlauf 2021 aufgeklärt.Quelle
Dass verhältnismäßig viele minderjährige Flüchtlinge als vermisst gemeldet werden, kann technische Gründe haben, zum Beispiel weil Personen aufgrund
unterschiedlicher Schreibweisen eines Namens mehrfach erfasst werden und andernorts ebenfalls als vermisst gelten.Quelle
Oder Geflüchtete werden als vermisst gemeldet, weil sie selbstständig umziehen – zu ihren Bezugspersonen in Deutschland oder im EU-Ausland. Manche erhoffen sich auch bessere Aufnahmebedingungen in einer anderen Stadt. Wenn sie angekommen sind, werden die Vermisstenmeldungen häufig nicht gelöscht.Quelle
Die Zahl der jungen unbegleiteten Flüchtlinge, die als vermisst gemeldet wurden, geht nach einem Höchststand im Jahr 2016 zurück. Ein Großteil der Vermisstenmeldungen wird aufgeklärt (siehe Grafik). Im März 2017 hatte die Bundesregierung keine Hinweise darauf, dass junge Flüchtlinge in besonderem Maße Opfer von Kriminalität, zum Beispiel Menschenhandel werden.Quelle
„Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge“ (UMF) haben Anspruch auf besonderen Schutz:
Zu wichtigen Fragen und Antworten bezüglich der Rechte von unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen in Deutschland hat unter anderem die Diakonie eine Website mit Grafiken zusammengestellt.
Häufig werden unterschiedliche Bezeichnungen für diese Gruppe verwendet. So wird oft von "unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen" (umF) gesprochen. Es gibt
aber auch die Bezeichnungen "unbegleitete minderjährige (Ausländer)" (UM oder UMA) oder "unbegleitete junge Ausländern". Wie sind diese verschiedenen Bezeichnungen definiert?Quelle
"Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge" (umF): Wird häufig für die gesamte Gruppe junger Ausländer verwendet, die ohne Eltern nach Deutschland kommen oder hier leben. Im engeren juristischen Sinn beschreibt der Begriff aber nur diejenigen, die ein Recht auf Schutz als Flüchtlinge haben.
"Unbegleitete Minderjährige (Ausländer)" (UM oder UMA): Bezeichnet alle unbegleiteten Minderjährigen aus dem Ausland, die in Zuständigkeit der Jugendhilfe sind, unabhängig von ihrem Aufenthaltsstatus.
Unbegleitete Volljährige: Bezeichnet junge Volljährige aus dem Ausland. Sie können unter Umständen noch Jugendhilfe erhalten, im Regelfall bis zum 21. Lebensjahr. Möglich ist eine Unterstützung durch die Jugendhilfe bis zum 27. Lebensjahr.
Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge werden zunächst beim Jugendamt vor Ort „vorläufig in Obhut genommen". Die Mitarbeiter führen innerhalb von sieben Tagen ein sogenanntes Screeningverfahren durch, bei dem Fragen beantwortet werden wie:
Das Personal meldet den Jugendlichen dann zum Verteilungsverfahren. Wenn das Bundesland, in dem er sich befindet, seine Aufnahmequote für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge bereits erreicht hat, ist das nächstgelegene Land zuständig. Nur für den Fall, dass die Verteilung nach Einschätzung der Mitarbeiter das Kindeswohl gefährdet, kann der Minderjährige vor Ort bleiben.
Ist geklärt, wo der Jugendliche langfristig bleiben wird, ist das dortige Jugendamt dafür zuständig, einen Vormund zu suchen, der den Minderjährigen betreut, und das sogenannte Clearingverfahren durchzuführen. Dabei wird unter anderem ermittelt, welche Unterbringung oder Schule für den Minderjährigen geeignet ist, welche Kompetenzen und Perspektiven er oder sie hat und wer die Betreuung übernimmt. Während der Screening- und Clearingverfahren wohnen die Minderjährigen in Einrichtungen der Jugendhilfe.
Eine ausführliche Beschreibung des Ablaufs für UMF bietet die Diakonie oder auch das BAMF.
Seit 2015 regelt das "Gesetz zur Verbesserung der Unterbringung, Versorgung und Betreuung ausländischer Kinder und Jugendlicher" das Verfahren zur "Altersfeststellung": Wer allein nach Deutschland einreist und angibt minderjährig zu sein, muss vorläufig durch das Jugendamt in Obhut genommen werden.Quelle
Wenn Geflüchtete keine Ausweispapiere haben, führt das Jugendamt zur Alterseinschätzung eine "qualifizierte Inaugenscheinnahme" durch. Dabei handelt es sich vor allem um ein Gespräch. Mitarbeiter des Jugendamtes fragen zum Beispiel nach der Familie, dem bisherigen Schulbesuch und dem Fluchtweg. An dieser "qualifizierten Inaugenscheinnahme" nehmen der Flüchtling, ein Dolmetscher und immer zwei Mitarbeiter des Jugendamtes teil. Sie entscheiden am Ende, ob ein junger Geflüchteter als minderjährig einzuschätzen ist oder nicht.
Bestehen trotz "qualifizierter Inaugenscheinnahme" Zweifel am Alter eines jungen Geflüchteten, kann eine ärztliche Untersuchung zur Alterseinschätzung beantragt werden. Zu diesen Untersuchungen zählt zum Beispiel das Röntgen
der Handwurzelknochen.Quelle
Zwar gibt es auf Bundesebene eine einheitlich rechtliche Regelung, die Umsetzung ist jedoch Aufgabe der Bundesländer. In der Praxis kommt es daher unterschiedlich häufig zu medizinischen Alterstests.Quelle
Medizinische Untersuchungen zur Alterseinschätzung sind umstritten. Der Präsident der Bundesärztekammer lehnte obligatorische Alterstest ab. Röntgen ohne medizinische Indikation sei ein Eingriff in die körperliche Unversehrtheit. Auch NGO's wie der "Bundesfachverband unbegleiteter minderjähriger Flüchtlinge" (BumF) betonen, dass weder die "qualifizierte Inaugenscheinnahme" noch eine medizinische Untersuchung ein Alter auf den Tag genau festlegen könnten.
2021: Rund 3.200 unbegleitete minderjährige Ausländer (UMA, früher "Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge / UMF") haben laut Bundesamt für Migration und Flüchtlinge im Jahr 2021 Asyl beantragt.
2020 haben rund 3.200 unbegleitete minderjährige Flüchtlinge einen
Asylantrag gestellt. Die meisten von ihnen kamen aus Afghanistan (31,5 Prozent), Syrien (22,9), Guinea (8,7),
Somalia (6,7) und der Irak (4,4). Die Schutzquote lag bei 62,5 Prozent.Quelle
Zuständig für Aufnahme, Unterkunft und Betreuung von unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen ist zunächst das Jugendamt im Ort, in dem die Jugendlichen angetroffen werden.
Um ihnen Stabilität bieten zu können, wurden unbegleitete Minderjährige viele Jahre nicht wie erwachsene Flüchtlinge in ganz Deutschland verteilt. Das führte dazu, dass die meisten von ihnen sich in wenigen Städten konzentrierten. Quelle
Seit November 2015 gilt ein neues Gesetz und die Minderjährigen können nach Abschluss des "Screeningverfahrens" in andere Bundesländer weiterverteilt werden, vorausgesetzt das Jugendamt stimmt dem zu. In dem Fall benennt das Bundesverwaltungsamt das Land, das zur Aufnahme verpflichtet ist. Vorrangig sollen Minderjährige in dem Land bleiben, in dem sie vorläufig in Obhut genommen wurden. Quelle
Wenn die Familie eines Jugendlichen nicht gefunden wird, lebt er oder sie bis zu seinem 18. Lebensjahr in stationären Einrichtungen der Jugendhilfe: in einer Heimeinrichtung oder in einer betreuten Wohngemeinschaft beziehungsweise Wohnung.
27.1.2023