HISTORISCH, UNMENSCHLICH
Schärfere Regeln: EU-Parlament beschließt Asylreform
Seit Jahren streitet die EU über die gemeinsame Asylpolitik. Am Mittwoch hat das EU-Parlament die EU-Asylreform final gebilligt. Die Entscheidung gilt als „historisch“ beziehungsweise „unmenschlich“ – je nach Betrachtungswinkel.
Donnerstag, 11.04.2024
Nach jahrelangen Verhandlungen hat das EU-Parlament die umstrittene EU-Asylreform final gebilligt. Eine Mehrheit der Abgeordneten stimmte am Mittwoch in Brüssel für alle zehn Gesetzesvorschläge der Reform. Die neuen Regeln soll die Zahl von Geflüchteten und Migranten in die EU begrenzen und steuern.
Im Kern geht es um einheitliche Verfahren, schnellere Abschiebungen und mehr Solidarität unter den EU-Staaten. Über viele der Vorschläge streitet die EU bereits seit 2016, ausgelöst durch die große Fluchtbewegung im Jahr 2015.
Proteste bei Abstimmung im EU-Parlament
Die Abstimmung im EU-Parlament wurde von Protestrufen unterbrochen. Demonstrierende auf den Zuschauerrängen riefen auf Englisch „Der Pakt tötet. Stimmt dagegen!“ und warfen Papierflugzeuge in das Plenum. Parlamentspräsidentin Roberta Metsola musste die Abstimmung unterbrechen. Die unerwartete Aktion sorgte für gemischte Reaktionen unter den Abgeordneten: Einige standen auf und applaudierten, während andere den Protest kritisierten.
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) bezeichnete die Asylreform als historischen und unverzichtbaren Schritt. Im Internetdienst X, vormals Twitter, schrieb Scholz am Mittwoch, die Reform stehe für die Solidarität unter den europäischen Staaten. „Sie begrenzt die irreguläre Migration und entlastet endlich die Länder, die besonders stark betroffen sind“, fügte er hinzu. Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) schrieb bei X, mit dem Ja zur Reform beweise die EU in schwierigen Zeiten Handlungsfähigkeit. Europa bekomme verbindliche Regeln mit „Humanität und Ordnung“.
Faeser: Überlassen Thema nicht Rechtspopulisten
Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) begrüßte die Zustimmung des EU-Parlaments ebenfalls. Die Reform werde die irreguläre Migration wirksam begrenzen und zu einer Entlastung der Kommunen führen, erklärte sie in Berlin. Mit der Einigung habe Europa „eine tiefe Spaltung“ überwunden. Die Ministerin kündigte an, sich dafür einsetzen zu wollen, dass die Reform möglichst schnell Wirkung entfaltet. Deutschland werde jetzt gemeinsam mit der EU-Kommission und der belgischen Ratspräsidentschaft „sehr intensiv daran arbeiten, das Gemeinsame Europäische Asylsystem schnellstmöglich umzusetzen“.
Die Entscheidung zeige auch: „Wir überlassen dieses zentrale Thema nicht den Rechtspopulisten, die Menschen in Not für ihre Stimmungsmache missbrauchen“, sagte Faeser. Kritiker bestätigten hämisch: die beschlossene Asylreform sei rechtspopulistisch, mithin werde den Rechtspopulisten tatsächlich nichts überlassen.
Unterschiedliche Reaktionen, SPD mit gemischten Gefühlen
Innerhalb des EU-Parlaments fällt die Bewertung der EU-Asylreform sehr unterschiedlich aus. „Das heutige Votum ist ein historischer Moment für Europa und ein Meilenstein für ein gemeinsames europäisches Asylsystem“, erklärte die CDU-Europaabgeordnete Lena Düpont. Ähnlich sieht es die FDP. „Endlich schaffen wir klare Regeln für die ankommenden Menschen und schnellere Verfahren an den Außengrenzen. Damit bringen wir mehr Ordnung in das europäische Migrationssystem“, erklärte der FDP-Parlamentarier Jan-Christoph Oetjen.
Die Sozialdemokraten betrachten die Reform mit gemischten Gefühlen. Die Europaabgeordnete Birgit Sippel (SPD) erklärte, um einen Kompromiss zu erzielen, habe ihre Fraktion „hohe Zugeständnisse“ machen müssen. Sie wolle Kritik nicht verschweigen. So seien etwa verpflichtende Grenzverfahren für Familien eines der „hochproblematischen Elemente“.
Linke: Krokodilstränen von SPD und Grüne nicht glauben
Die Grünen im Europaparlament sehen das Paket als eine „Verschlechterung der aktuellen Situation“ und stimmten gegen eine Mehrheit der Gesetzesentwürfe, wie die Europaabgeordnete Katrin Langensiepen (Grüne) erklärte.
Die Linke äußerte deutliche Kritik. Der Beschluss „ebnet den Weg für einen beispiellosen Rechtsruck in der EU-Asylpolitik“, sagte die Abgeordnete Cornelia Ernst. Der Vorsitzende der Linksfraktion im EU-Parlament, Martin Schirdewan, kritisierte SPD und Grüne: „Niemand sollte den scheinheiligen Krokodilstränen Glauben schenken, mit denen Vertreter von SPD und Grünen dieses Ergebnis bedauern werden.“ Er warf ihnen ein „durchsichtiges Spiel“ vor, denn sie würden der unmenschlichen Reform erst zustimmen und dann erfolglos versuchen, sie abzumildern.
Kinderrechtler warnen vor EU-Asylreform
Das Gesetzespaket sieht unter anderem vor, dass Asylsuchende mit geringer Bleibechance schneller und direkt von den EU-Außengrenzen abgeschoben werden. Für die Schnellverfahren sollen die Menschen bis zu zwölf Wochen unter haftähnlichen Bedingungen untergebracht werden. Während der Verfahren gelten die Menschen juristisch als nicht eingereist („Fiktion der Nicht-Einreise“). Das bedeutet, sie haben nicht dieselben Rechte wie Asylbewerber. Deutschland wollte, dass Kinder von diesen sogenannten Grenzverfahren ausgenommen werden, setzte sich mit dieser Forderung aber nicht durch.
Das internationale Kinderhilfswerk Terre des Hommes hatte bereits im Vorfeld der Abstimmung appelliert, gegen die EU-Asylreform zu stimmen. Das Migrations- und Asylpaket sei mit Kinderrechten nicht vereinbar, teilte das in Osnabrück ansässige Werk mit. Die Asyl-Reform bedeute für zahlreiche Kinder auf der Flucht die „Inhaftierung hinter Stacheldraht und Lagermauern und die Gefahr von Rückführungen in Länder, in denen sie nicht sicher sind“, sagte Joshua Hofert, Vorstandssprecher von Terre des Hommes. Insbesondere die Inhaftierung zur Migrationskontrolle widerspreche der UN-Kinderrechtskonvention.
Sonderregeln für EU-Staaten
Die sogenannte Krisenverordnung ist ein weiterer Baustein des Reformpaketes. Sie sieht Sonderregeln für EU-Staaten vor, die aufgrund ihrer geografischen Lage vergleichsweise viele Geflüchtete aufnehmen. Zum Beispiel können sie Schutzsuchende dann noch länger an der Außengrenze festhalten. Deutschland hatte auch diese Regelung zunächst wegen humanitärer Bedenken abgelehnt.
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Gemäß den neuen Regeln ist grundsätzlich weiterhin das EU-Land für einen Asylbewerber zuständig, in dem dieser zuerst europäischen Boden betreten hat. Zusätzlich ist ein EU-Solidaritätsmechanismus geplant. Dieser soll hauptsächlich die EU-Staaten an der Außengrenze entlasten und Schutzsuchende innerhalb der EU umverteilen. Länder, die keine Personen aufnehmen wollen, sollen aber auch Ausgleichszahlung leisten können.
Expertin: Auswirkungen der Reform „begrenzt“
Nach dem EU-Parlament muss noch der Rat der EU-Mitgliedstaaten der Reform zustimmen. Dies gilt als Formsache. Anschließend haben die EU-Staaten zwei Jahre Zeit für die Umsetzung. Das soll den Staaten an den Außengrenzen genügend Zeit geben, entsprechende Einrichtungen zur Unterbringung von Menschen aus Staaten mit einer Anerkennungsquote von weniger als 20 Prozent zu schaffen.
Kurzfristig wird sich also an der Situation in Deutschland nichts ändern. Migrationsforscherin Zeynep Yanaşmayan vom Deutschen Zentrum für Integrations- und Migrationsforschung mahnte an, dass sich Veränderungen in Fluchtbewegungen vor allem nach Konflikt- und Verfolgungslagen in Herkunfts- und Transitländern richteten. „Wie die Aufnahmestaaten agieren, wirkt sich auf Migration, vor allem auf Flucht, nur sehr begrenzt aus“, sagte sie der Deutschen Presse-Agentur. (epd/dpa/mig)
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DEUTLICH HÄRTERE REGELN
Fragen und Antworten zur EU-Asylreform
Jahrelang wurde über das europäische Asylrecht gestritten - nun hat das EU-Parlament einer Reform zugestimmt. Geplant ist insbesondere ein deutlich härterer Umgang mit Menschen aus Ländern, die als relativ sicher gelten. Antworten auf wichtige Fragen.
Von Stella Venohr
Donnerstag, 11.04.2024
Warum soll die Asylpolitik in der EU reformiert werden?
An einer Reform wird bereits seit 2015 und 2016 intensiv gearbeitet. Damals waren Länder im Süden Europas wie Griechenland mit einer Vielzahl von ankommenden Menschen aus Ländern wie Syrien überfordert. Hunderttausende kamen in andere EU-Staaten.
Dies hätte eigentlich nicht passieren dürfen, denn nach der sogenannten Dublin-Verordnung sollen Asylbewerber da registriert werden, wo sie die Europäische Union zuerst betreten haben.
Wie soll es in Zukunft ablaufen, wenn Geflüchtete an einer EU-Außengrenze ankommen?
Die Reform sieht einheitliche Grenzverfahren an den Außengrenzen vor. Geplant ist insbesondere ein deutlich härterer Umgang mit Menschen aus Ländern, die als relativ sicher gelten. Bis zur Entscheidung über den Asylantrag sollen diese Menschen bis zu zwölf Wochen unter haftähnlichen Bedingungen in Auffanglagern untergebracht werden können.
Menschen, die aus einem Land mit einer Anerkennungsquote von unter 20 Prozent kommen, sowie solche, die als Gefahr für die öffentliche Sicherheit gelten, müssen künftig verpflichtend in ein solches Grenzverfahren. Ankommende Menschen können dem Vorhaben nach mit Fingerabdrücken und Fotos registriert werden, auch um zu überprüfen, ob sie eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit sein könnten.
Was passiert bei Ankunft besonders vieler Asylsuchender?
Bei einem besonders starken Anstieg der Migration könnte von den Standard-Asylverfahren mit der sogenannten Krisenverordnung abgewichen werden. Zum Beispiel kann der Zeitraum verlängert werden, in dem Menschen unter haftähnlichen Bedingungen festgehalten werden können. Zudem könnte der Kreis derjenigen vergrößert werden, der für die geplanten strengen Grenzverfahren infrage kommt. Das gälte dann für Menschen aus Herkunftsländern mit einer Anerkennungsquote von maximal 50 Prozent.
Sind Familien mit Kindern vom Grenzverfahren ausgenommen?
Nein, und das, obwohl die Bundesregierung zunächst gefordert hatte, Familien mit Kindern aus humanitären Gründen von den Grenzverfahren auszunehmen. Dieses zentrale Anliegen scheiterte jedoch. Nur unbegleitete minderjährige Flüchtlinge bilden eine Ausnahme. Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) bedauerte dies und sagte, dass nun bei der Umsetzung des neuen Asylsystems umso mehr darauf geachtet werden müsse, „dass es fair, geordnet und solidarisch zugeht“.
Wie werden die Geflüchteten dann verteilt?
Die Verteilung der Schutzsuchenden auf die EU-Staaten wird den Plänen zufolge mit einem „Solidaritätsmechanismus“ neu geregelt: Wenn die Länder keine Flüchtlinge aufnehmen wollen, müssen sie Unterstützung leisten, etwa in Form von Geldzahlungen.
Ab wann soll das neue Recht gelten?
Die Einigung muss noch von den EU-Staaten bestätigt werden. Das ist normalerweise eine Formalität. Dann haben die EU-Staaten zwei Jahre Zeit, um die Vorgaben umzusetzen. Das soll den Staaten an den Außengrenzen genügend Zeit geben, entsprechende Einrichtungen zur Unterbringung von Menschen aus Staaten mit einer Anerkennungsquote von weniger als 20 Prozent zu schaffen.
EU-Innenkommissarin Ylva Johansson beteuerte, dass die Mitgliedstaaten um Schnelligkeit bemüht seien. „Einige der Mitgliedsstaaten haben bereits mehr oder weniger mit der Umsetzung begonnen.“
Was heißt das jetzt für Deutschland?
Kurzfristig wird sich an der Situation in Deutschland nichts ändern. Denn bis die nun politisch geeinten Regelungen in die Praxis umgesetzt werden, kann es noch dauern. Die Analyse des konkreten Anpassungsbedarfs in Deutschland sei noch nicht abgeschlossen, sagte ein Sprecher des Bundesinnenministeriums auf Nachfrage.
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Dabei gehe es um rechtliche, praktische, technische und sonstige Anpassungen. Die rechtlichen Anpassungen betreffen laut Innenministerium voraussichtlich das Asylgesetz und das Aufenthaltsgesetz, liegen zum Teil aber auch in den Zuständigkeitsbereichen anderer Ressorts und der Länder. Gespräche mit den anderen betroffenen Bundesressorts und den Ländern seien geplant.
Könnte die Reform die Zahl der Geflüchteten in Deutschland verringern?
Ja, denn ein Teil der Schutzsuchenden wird dann von den Außengrenzen direkt zurückgeschickt, und die verschärften Regeln könnten abschreckend wirken. Darauf hoffen neben den Verhandlern auch CDU und CSU sowie Länder und Kommunen. Kurzfristig wird sich an der Situation in Deutschland laut Migrationsforscherin Zeynep Yanaşmayan vom Deutschen Zentrum für Integrations- und Migrationsforschung nichts ändern. „Wie die Aufnahmestaaten agieren, wirkt sich auf Migration, vor allem auf Flucht, nur sehr begrenzt aus“, sagte sie.
Der Deutsche Städtetag dringt jedoch weiterhin auf sofortige Unterstützung bei der Unterbringung der Geflüchteten. „Die Verordnung soll ab 2026 von den Mitgliedstaaten angewendet werden. Doch schon in einigen Monaten müssen sie mit der Vorbereitung und Umsetzung beginnen. Das könnte sich dann schon auf die Migrationszahlen auswirken, deutliche Effekte wird es aber von heute auf morgen nicht geben“, sagte Hauptgeschäftsführer Helmut Dedy der Deutschen Presse-Agentur. „Bund und Länder bleiben deshalb weiterhin in der Pflicht, auch die in Deutschland beschlossenen Maßnahmen zur Flüchtlingsfinanzierung und zur besseren Steuerung von Migration konsequent umzusetzen. Die Städte müssen dringend entlastet werden.“ (dpa/mig)