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3.11.2024 --- PDF- Präsentation zu
Neuer Leistungsausschluss in Dublin-Fällen im AsylbLG.
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3.11.2024 --- Power-Point Präsentation zu
Neuer Leistungsausschluss in Dublin-Fällen im AsylbLG.
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Leistungsstreichungen für Dublin-Geflüchtete in Kraft,
Leistungskürzungen für alle ab 2025
Mit diesen Kürzungen fährt die Ampelkoalition einen Angriff auf die Sozialen Rechte Geflüchteter, der in seinem Ausmaß alle bisherigen Verschärfungen in den Schatten stellt. Selbst die Große Koalition mit Horst Seehofer hat kein so umfassendes Entrechtungsprogramm gewagt. Es ist dies Ausdruck einer dramatischen Verrohung und Radikalisierung der bürgerlichen Mitte, die Schritt für Schritt nun das umsetzt, was die Rechtsextremist*innen schon immer forderten.
1. Vertreibung durch Aushungern von Dublin-Geflüchteten
Die Änderung des § 1 Abs. 4 AsylbLG als Teil des völlig zu Unrecht so genannten „Sicherheitspakets“ ist am 30.10.24 im Bundesgesetzblatt veröffentlicht worden und damit heute in Kraft getreten. Was die staatlich produzierte Verelendung einer Menschengruppe auch nur im Entferntesten mit „Sicherheit“ zu tun haben soll, ist unerklärlich. Die Regelung in Kürze:
Menschen sollen nur noch für zwei Wochen Anspruch auf gekürzte AsylbLG-Leistungen (im Umgang von § 1a AsylbLG) und danach normalerweise gar keinen Anspruch mehr haben, wenn
Nur in besonderen Härtefällen müssen nach zwei Wochen weiterhin Leistungen für das rein physische Existenzminimum erbracht werden. Normalerweise dürfen nach den zwei Wochen jedoch noch nicht einmal Unterkunft, Ernährung oder Gesundheitsversorgung sichergestellt werden. Und selbst in Härtefällen sind das gesamte soziale Existenzminimum und die Zusatzleistungen insbesondere für schutzbedürftige Personen nach § 6 AsylbLG (Hilfe zur Pflege, Leistungen der Eingliederungshilfe usw.) ausgeschlossen! Ausnahmen bestehen für die „besonderen Bedürfnisse von Kindern“.
Hier gibt es eine Powerpoint-Präsentation mit dem neuen Gesetzeswortlaut und einer ersten Einschätzung sowie mit Praxishinweisen: als ppt und als pdf.
In der Beratung sollte in allen Fällen eines Leistungsausschlusses Rechtsmittel eingelegt werden (Widerspruch, Klage und Eilantrag beim Sozialgericht). Dabei sollte auch stets auf die Härtefallregelung und die individuelle Situation eingegangen werden. Die Regelung verletzt erkennbar die Verfassung, aber auch andere Rechtsvorschriften, wie die EU-Aufnahmerichtlinie, die EU-Grundrechtecharta, die UN-Kinderrechtskonvention und die UN-Behindertenrechtskonvention, weil
2. Kürzung des AsylbLG-Regelsatzes für alle ab 2025
Die Bundesregierung hat beschlossen, den Regelsatz für Menschen im Grundleistungsbezug nach § 3 AsylbLG im Jahr 2025 zu kürzen. Im Gegensatz zu den Leistungen nach SGB II, SGB XII und den Analogleistungen nach § 2 AsylbLG sollen die Regelsätze nicht eingefroren bleiben, sondern um 13 bis 19 Euro sinken. Begründet wird dies vom sozialdemokratisch geführten BMAS formal damit, dass eine Bestandsschutzregelung für den Leistungsbezug nach § 3 AsylbLG nicht vorgesehen sei.
In der folgenden Tabelle wird nicht nur die vierprozentige Kürzung existenzsichernder Sozialleistungen deutlich. Sondern auch, dass die Schere zwischen „normalen“ Sozialleistungen und denjenigen für Geflüchtete noch weiter auseinander geht. Dafür sorgt gleich eine ganze Latte von Maßnahmen, die im AsylbLG von der Ampelkoalition beschlossen wurden oder noch geplant sind:
Wir reden hier also über eine Politik der Ungleichmachung. Und wir reden darüber, dass entgegen aller formaljuristischen Argumentationen die Begründung für Sozialabbau zunehmend mit rassistischen Narrativen aufgeladen wird. Es geht ja erst mal nur gegen „die Ausländer“. Aber: Es wird nicht lange dauern, bis diese Argumentation auch für weitere Verschärfungen und Kürzungen in anderen Bereichen wie dem Bürger*innengeld herhalten muss.
Hier sind die neuen Sätze in einer Übersicht über die alten und neuen Regelsätze:
Asylgesetz: Örtliche Zuständigkeit von Verwaltungsgerichten geändert!
(Örtlich) Zuständig für Streitigkeiten nach dem Asylgesetz und damit auch für Klagen gegen Asylbescheide ist in der Regel das Verwaltungsgericht, in dessen Bezirk die Geflüchteten ihren Aufenthalt zum Zeitpunkt der Klageerhebung aufgrund einer behördlichen Zuweisungsentscheidung nehmen müssen (§ 52 Nr. 2 Satz 3 Halbs. 1 VwGO). Den Ländern ist es jedoch gestattet, Asylverfahren bestimmter Herkunftsstaaten - unabhängig vom Aufenthalts- bzw. Wohnort der Betroffenen - bei einem oder mehreren Verwaltungsgerichten zu konzentrieren, sofern dies für die Verfahrensförderung sachdienlich (§ 83 Abs. 3 AsylG).
Das Land Niedersachsen hat von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht, "um eine noch weitergehende Spezialisierung und Verfahrensbeschleunigung zu erreichen." Seit dem 01. September 2024 werden asylgerichtliche Verfahren von Menschen aus sog. sicheren Herkunftsstaaten (Albanien, Bosnien und Herzegowina, Georgien, Ghana, Kosovo, Mazedonien, ehemalige jugoslawische Republik, Montenegro, Republik Moldau, Senegal, Serbien) sowie aus Kolumbien und der Elfenbeinküste - unabhängig davon, wo in Niedersachsen diese sich zum Zeitpunkt der Klageerhebung tatsächlich aufhalten (müssen) - bestimmten Verwaltungsgerichten zugewiesen.
Der Flüchtlingsrat Niedersachsen kritisiert diese Neuregelung.
So ist es bereits zweifelhaft, ob die Konzentration von Asylerfahren überhaupt geeignet ist, die Verfahrensdauer signifikant zu verkürzen. Vielmehr birgt die Konzentration der Asylverfahren aus Sicht des Flüchtlingsrats die Gefahr, dass die jeweils zuständigen Gerichte (noch weiter) überlastet werden. Darüber hinaus droht die Diversität der Rechtsprechung in Bezug auf die in Rede stehenden Herkunftsstaaten (noch weiter) verloren zu gehen.
Denn bislang haben grundsätzlich sämtliche sieben niedersächsischen Verwaltungsgerichte über Asylklagen von Menschen aus sicheren Herkunftsländern entschieden. Nunmehr sind ausschließlich die fünf Verwaltungsgerichte in Göttingen, Lüneburg, Hannover, Oldenburg und Osnabrück mit derartigen Verfahren befasst, wobei jedes Herkunftsland lediglich zwei Gerichten zugewiesen ist und die Zuständigkeit der Verwaltungsgerichte in Oldenburg und Osnabrück sich auf Kolumbien bzw. Georgien beschränkt. Den Verwaltungsgerichten in Braunschweig und Stade wurde die Zuständigkeit für Verfahren von Asylsuchenden aus sog. sicheren Herkunftsstaaten gänzlich entzogen.
Von der Ermächtigung, die Zuständigkeit hinsichtlich bestimmter Herkunftsstaaten zu konzentrieren, haben vor Niedersachsen bereits die Länder Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern und Thüringen Gebrauch gemacht. In Sachsen-Anhalt wurde eine entsprechende Regelung hingegen mittlerweile wieder aufgehoben.
20.9.2024 - © Flüchtlingsrat Niedersachsen e.V. - Röpkestr. 12 - 30173 Hannover
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Hier eine Aufstellung der Fakten!
Trotz allem: Auf die Solidarität Deutschlands kann man stolz sein!
Ja, es gibt sehr viele, zu viele Dinge, die verbesserungswürdig sind!
Aber sehr Vieles wird grundsätzlich geleistet!
· Leider sind diese nur von 3 Ländern aufgenommen worden - entgegen den Vereinbarungen
(Über 60 % der hier lebenden Flüchtlinge sind bereits berufstätig)
In Niedersachsen lebten zum Stichtag 31.12.2022 in etwa
· 253.000 Geflüchtete, die ca. 3%der Bevölkerung in Niedersachsen ausmachen.
· davon sind 25% unter 18 Jahren alt
· Ukrainische Geflüchtete (ca. 110.000) machen etwa 1,4% der gesamten Bevölkerung Niedersachsens aus. Nach wie vor ist der Anteil der Geflüchteten an der Gesamtbevölkerung also eher gering.
· davon sind 40000 unter 18 Jahren alt
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27 Organisationen, darunter der Flüchtlingsrat Mecklenburg-Vorpommern e.V. haben einen Appell an die Bundesregierung verfasst und unterzeichnet, der auffordert Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit in Europa zu verteidigen:
Flüchtlingsschutz ist Teil unserer demokratischen Werte – Forderungen nach Zurückweisungen ablehnen, Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte in Europa verteidigen
Wir alle wollen in einer Gesellschaft leben, die uns schützt, unterstützt und in der wir respektiert werden. Deswegen sind die Säulen unserer Gesellschaft Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte. Sie schützen jeden von uns und wir müssen sie schützen. Die Vielfalt unserer Gesellschaft – von Ideen zu Gedanken, von Herkunft zu Identität – ist unsere Stärke. Für die Rechte aller Menschen in unserer Gesellschaft einzutreten, stärkt auch unsere eigenen Rechte. Die aktuellen Debatten um asylrechtliche Verschärfungen widersprechen diesem Selbstverständnis.
Das Recht, in Deutschland und Europa Schutz vor Menschenrechtsverletzungen zu suchen, gehört nach den Erfahrungen des Zweiten Weltkriegs zur DNA unserer Demokratie. Nach Deutschland geflüchtete Menschen sind Teil unserer Gesellschaft: Sie arbeiten und engagieren sich hier, ziehen ihre Kinder hier groß und gehören hierher. Fehlverhalten einzelner darf niemals dazu führen, dass pauschal bestimmte Gruppen von Menschen stigmatisiert, rassifiziert und als nicht zugehörig markiert werden. Wir lassen uns nicht spalten.
Damit stellen wir uns gegen politische Kräfte, die ein Interesse an Spaltung und Verunsicherung haben. In verschiedenen Ländern der EU haben wir den Fahrplan autoritärer Politiker*innen gesehen: Mit einem “Wir gegen die Anderen” wird gegen bestimmte gesellschaftliche Gruppen Stimmung gemacht. Gehetzt wird gegen queere Personen, eingewanderte oder rassifizierte Menschen, Arbeitslose, Menschen mit Behinderung und andere gesellschaftliche Gruppen. Gewalt an den Grenzen – selbst gegen Kinder – wird normalisiert. Gleichzeitig werden die Institutionen des Rechtsstaats angegriffen – von der Unabhängigkeit der Justiz bis zur Arbeit von Anwält*innen. Eine solche Entwicklung lassen wir in Deutschland nicht noch einmal zu. Demokratische Parteien müssen hierfür an einem Strang ziehen, um den Versuchen der Spaltung den Zusammenhalt der Gesellschaft entgegenzustellen.
Das Asylrecht dient als erstes Ziel einer Politik, die zunehmend Menschenrechte infrage stellt. Dies zeigt sich an der aktuellen Debatte. Vorschläge wie Zurückweisungen von Schutzsuchenden an
deutschen Grenzen verstoßen eindeutig gegen europäisches Recht und menschenrechtliche Grundprinzipien. In vielen EU-Ländern droht Asylsuchenden ein Leben auf der Straße, Verelendung und
willkürliche Haft. Aus diesen Gründen verbieten deutsche Gerichte immer wieder entsprechende Abschiebungen. Das macht deutlich: Es muss in jedem Einzelfall geprüft werden, ob eine Abschiebung
rechtens ist. Das gehört zu unserem Rechtsstaat und kann nicht ad hoc an der Grenze entschieden werden. Es gibt auch keine nationale Notlage, die ein Hinwegsetzen über diese Grundsätze
rechtfertigen könnte.
Handlungsfähigkeit beweist sich durch realistische, wertegeleitete und rechtskonforme Politik. Anstatt sich zu stets neuen Verschärfungen treiben zu lassen, muss die Bundesregierung für ein
Europa der Rechtsstaatlichkeit und der Menschenrechte einstehen. Für alle Menschen.
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29. August 2024
Drei Tote und acht teils schwerst verletzte Menschen, darunter mindestens ein Geflüchteter – das Abschiebungsreporting NRW trauert um die Opfer des Angriffs von Solingen und ist in Gedanken bei den Angehörigen und Freund:innen. Ein Angriff auf ein Stadtfest, das die Geschichte der Stadt und auch bewusst die Vielfalt feiern wollte, erschüttert. Die Hintergründe werden jetzt aufgeklärt. Der Tatverdächtige wurde am Samstag festgenommen und befindet sich in Untersuchungshaft. Gegen ihn wird unter anderem wegen Mordes und „Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung im Ausland“ ermittelt. Der sogenannte Islamische Staat hat die Tat für sich reklamiert.
Weil es sich bei dem Tatverdächtigen um einen syrischen Staatsangehörigen handelt und dieser über Bulgarien nach Deutschland eingereist ist, wurde die Trauer um die Opfer bereits wenige Stunden nach der Tat politisch überlagert von immer neuen Forderungen nach Gesetzesverschärfungen, nach mehr Abschiebungen, nach mehr Abschiebehaft, nach der vollständigen Aussetzung des Asylrechts für bestimmte Gruppen sowie nach umfassenden Kontrollen an den deutschen Außengrenzen. Auch der vollständige Sozialleistungsentzug für bestimmte Gruppen wird gefordert. Ganze Bevölkerungsteile werden seither rassistisch in Mithaftung für einen mutmaßlichen Mörder genommen und unter Generalverdacht gestellt. Syrer:innen und Afghan:innen wird pauschal die Schutzbedürftigkeit abgesprochen. Dabei sind doch viele von ihnen gerade vor dem islamistischen Terror geflohen, der jetzt dem Tatverdächtigen vorgeworfen wird. Teils wird die Tat auch für den laufenden Wahlkampf in drei Bundesländern missbraucht. Über Deradikalisierung, Präventions- und Bildungsarbeit oder notwendige Maßnahmen gegen islamistische Propaganda im Netz wird dagegen deutlich weniger gesprochen.
Wie schon vorherige islamistische Attentate löst auch die terroristische Gewalttat von Solingen die immer gleichen Reflexe aus, einfache Lösungen für komplexe Herausforderungen werden propagiert, angetrieben von den Rechtsaußenparteien, aber befördert auch von den Parteien der Mitte, angefeuert aber auch von Zeitungen wie BILD und WELT sowie einer vielfach entgrenzten, rassistischen und menschenverachtenden Debatte auf den Social Media-Kanälen.
Die zahlreichen Fehlinformationen und die Debatte, in der Abschiebung, Abschottung und rassistische Vorurteile gegenüber Geflüchteten dominieren, erfordern eine politische und rechtliche Einordnung. Angesichts der unzähligen erhobenen politischen Forderungen ist die Übersicht auf die zentralsten das Abschiebungsreporting NRW betreffende Themen begrenzt.
Forderungen nach Abschiebungen nach Afghanistan und Syrien. Ein Diskurs voller Falschinformationen
Friedrich Merz, Parteivorsitzender der CDU und Oppositionsführer im Bundestag, forderte bereits am Sonntag, nicht einmal 48 Stunden nach der Tat, erneutAbschiebungen nach Afghanistan und Syrien. Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Hendrik Wüst pflichtete ihm bei. Merz forderte zudem, keine weiteren Geflüchteten aus diesen beiden Ländern aufzunehmen und sprach ihnen damit pauschal den Zugang zu einem ergebnisoffenen rechtsstaatlichen Asylverfahren ab. Zudem sollen laut Merz „ausreisepflichtige Straftäter zeitlich unbegrenzt in Abschiebegewahrsam“ genommen werden. Merz nutzt damit den Anschlag von Solingen für Forderungen, die gegen das Grundgesetz verstoßen und zudem völkerrechtswidrig sind. Auch Bundeskanzler Olaf Scholz kündigte erneut an, dass auch Abschiebungen nach Afghanistan und Syrien erfolgen sollen.
Was aber würden solche Forderungen in der Praxis bedeuten und wie sind sie rechtlich einzuordnen?
Forderung nach einem zeitlich unbegrenzten „Abschiebegewahrsam“
Auch die Forderung nach einem zeitlich unbegrenzten „Abschiebegewahrsam“ ist populistisch und tritt den Rechtsstaat mit Füßen. Sie verstößt gegen Verfassungs- und Europarecht. Maßstäbe dafür legen die Art. 15ff. EU-Rückführungs-Richtlinie fest. Erst jüngst hat die Ampel-Mehrheit im Bundestag zudem mit dem Hau-Ab-Gesetz 3 (dem sogenannten Rückführungsverbesserungsgesetz) die Möglichkeiten für Abschiebehaft und Ausreisegewahrsam erweitert und verschärft. Doch es ist ein Irrglaube, die Inhaftierung vor Abschiebungen würde nur vorbestrafte Menschen betreffen. Aus der Praxis der Dokumentationen des Abschiebungsreporting NRW ist bekannt, dass viele Menschen in Abschiebehaft genommen werden, ohne dass sie jemals Straftaten verübt haben oder als Gefährder gegolten haben.
Auch Menschen mit Vorstrafen sind natürlich selbst Träger von Grundrechten und ihnen kann nicht zeitlich unbegrenzt die Freiheit entzogen werden, sofern eine Abschiebung überhaupt noch nicht konkret im Raum steht oder eine Strafhaft bereits vollzogen worden ist. Unbegrenzten Freiheitsentzug auf Vorrat gibt es in einem Rechtsstaat nicht. Zudem halten sich die staatlichen Stellen schon bisher vielfach nicht an die selbst gesetzten Regeln. Verhängte Abschiebehaft erweist sich nachträglich sehr häufig als rechtswidrig, auch in Nordrhein-Westfalen. Eine transparente Statistik der Landesregierung gibt es auch dazu jedoch nicht. Im vergangenen Jahr hat NRW knapp 1.400 Menschen im Abschiebegefängnis Büren inhaftiert. Zudem werden regelmäßig Frauen und weiblich gelesene Personen aus NRW im Abschiebegefängnis Ingelheim in Rheinland-Pfalz inhaftiert.
Ungenaue Berichterstattung in verschiedenen Medien
Die Forderungen nach mehr Abschiebehaft werden auch durch ungenaue Berichterstattung begünstigt. So behauptete der SPIEGEL bereits zwei Tage nach dem Anschlag, nachdem die ersten Informationen über das frühere Asylverfahren des tatverdächtigen Mannes und über einen gescheiterten Abschiebeversuch nach Bulgarien bekannt geworden waren: „Eine Ausschreibung zur Festnahme unterblieb wohl, offenbar, weil al H. als unauffällig galt und es ohnehin kaum ausreichend Abschiebehaftplätze gibt.“
Andere Medien übernahmen diese Darstellung des SPIEGEL. Die nordrhein-westfälischen Behörden hatten den tatverdächtigen Mann im Juni 2023 in einem Landeslager in Paderborn aufgesucht, um ihn auf Grundlage der Dublin-Verordnung nach Bulgarien abzuschieben. Sie hatten ihn allerdings nicht angetroffen.
Die Behauptung in den Presseberichten, es gäbe „kaum ausreichend Abschiebehaftpätze“, trifft für Nordrhein-Westfalen keineswegs zu. Das Bundesland hat das bundesweit größte Abschiebegefängnis in Büren (Kreis Paderborn), das 175 Plätze hat und das nach Angaben der Landesregierung im Jahr 2023 monatlich durchschnittlich mit 70 Menschen belegt war. Aufgrund der Größe von Büren hat die Landesregierung im Dezember 2023 Pläne für ein weiteres Abschiebegefängnis in Düsseldorf aufgegeben.
Auch das Geraune mancher Journalist:innen, der Tatverdächtige habe in seinem Asylverfahren sehr genau gewusst, was rechtlich zu tun sei, befremdet. Der Rechtsstaat
mit all seinen Garantien steht allen Menschen zu. Bis dato ist nicht bekannt, ob der Tatverdächtige bereits radikalisiert nach Deutschland gekommen ist, vielleicht sogar geschickt worden ist,
oder ob erst hier angeworben bzw. radikalisiert worden ist. Dass er Rechtsmittel gegen eine Abschiebung nach Bulgarien auf Grundlage der Dublin-III-Verordnung suchte, ist ein ziemlich normaler,
alltäglicher Vorgang in Asylverfahren, gibt es doch seit Jahren vielfache Berichte
über Misshandlungen und Menschenrechtsverletzungen im bulgarischen Asylsystem. Hier ein strategisches Verhalten zu beklagen und zugleich anzudeuten, dass Menschen im Asylverfahren solcherlei
rechtsstaatliche Garantien gar nicht benötigen würden, ist unredlich, werden doch erneut alle anderen Schutzsuchenden indirekt mit in Mithaftung genommen für die Tat eines Einzelnen. Auch dass
ein Asylantragsteller eine Anwältin in einem anderen Bundesland zu Rate zieht, ist angesichts des Mangels geeigneter Anwält:innen ein völlig normaler Vorgang. Mittlerweile hat sich die Dynamik
der Debatte allerdings bereits weiterentwickelt und stellt auch Beratungsstellen und NGOs mit unter Generalverdacht. Ministerpräsident Wüst sprach der Westfalenpost zufolge von „Schlupflöchern im
Asylsystem,die ausgenutzt werden von fachkundig beratenen Leuten“. Erinnerungen an die frühere Kampagne gegen eine vermeintliche „Anti-Abschiebe-Industrie“ werden wach. Dabei ist
völlig klar: Menschen
im Asylverfahren haben Rechte. Und dazu zählt auch die Unterstützung von Beratungsstellen und Anwält:innen. Nur weil einzelne Menschen später Straftaten begehen oder sich als islamistische
Terroristen erweisen, kann dies nicht zur Folge haben, die Rechte aller Schutzsuchenden in Frage zu stellen bzw. zu beschneiden.
Vizeministerpräsidentin Neubaur und Fluchtministerin Paul wollen Dublin-III-Verordnung konsequent umsetzen
Der Verweis auf ein dysfunktionales Dublin-System und ein vermeintliches „Vollzugsdefizit“ übersieht, dass die Dublin III-Verordnung ein zutiefst unsolidarisches Rechtssystem darstellt, mit dem die Verantwortung für Schutzsuchende einseitig auf die EU-Außengrenzen verlagert wird. Soziale Bezüge von Menschen finden hingegen keine hinreichende Berücksichtigung. Die Menschenrechtsverletzungen in einigen Dublin-Mitgliedstaaten sind zudem so zahlreich, dass viele Abschiebungen schon seit Jahren vor den deutschen Verwaltungsgerichten gestoppt werden. Immer wieder gab es auch richtungsweisende Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs, etwa zu den systemischen Mängeln und Menschenrechtsverletzungen im griechischen oder ungarischen Asylsystem. Manche Staaten, wie zurzeit Italien, nehmen auf Grundlage politischer Entscheidungen seit einiger Zeit auch niemanden zurück.
Seit Jahren ist das bürokratische Dublin-System für Deutschland zudem vielfach ein Nullsummenspiel, schieben doch andere Dublin-Staaten wiederum Menschen auf der gleichen Rechtsgrundlage nach Deutschland ab.
Flucht-Ministerin Josefine Paul und Vizeministerpräsidentin Mona Neubaur betonten jedoch, dass die Umsetzung der Dublin III-Verordnung konsequent erfolgen soll. Der Stadtdirektor von Krefeld Markus Schön forderte im WDR die Zentralisierung aller Dublin-Abschiebungen bei zentralen Behörden des Landes. Rechtsstaatliche Garantien im Dublin-Verfahren werden als „Bürokratie-Wahn“ abgetan. Ministerin Paul befürwortete dagegen eine Verlagerung der kompletten Zuständig für Dublin-Verfahren auf die Bundesebene.
Erste Ankündigungen der Landesregierung:
Zentrale Ausländerbehörden sollen auf Anwesenheitsdaten in Landesunterkünften zugreifen können
Flucht-Ministerin Josefine Paul hat am Mittwoch erste Maßnahmen nach dem Angriff von Solingen angekündigt. Es soll weiter tief in die Grundrechte aller Schutzsuchenden eingegriffen werden. So sollen die Zentralen Ausländerbehörden in NRW ihr zufolge zukünftig einen direkten Zugriff auf das Anwesenheitsportal der Landeslager erhalten, damit sie jederzeit vor geplanten Abschiebungen sehen können, wer zum Essen oder Schlafen in den Unterkünften anwesend sei und entsprechende Behördenzugriffe besser planbar seien. Ein entsprechender Erlass der Landesregierung, der dem Abschiebungsreporting NRW bisher nicht vorliegt, soll in dieser Woche an die zuständigen Behörden verschickt worden sein. Derweil bleibt es Behörden aber weiter verboten, Betroffene über Abschiebungstermine zu informieren. Rechtsstaatlich ist dieser Vorschlag problematisch: Ein Rechtsstaat kann nicht einfach die Rechte tausender unbeteiligter Menschen einschränken und faktisch immer geschlossenere Lager aufbauen, nur um einzelne Menschen leichter abschieben zu können. In den Landesunterkünften in NRW lebten Anfang Juni 2024 rund 23.000 Geflüchtete, von denen viele einen Schutzstatus erhalten.
Das in Nordrhein-Westfalen bereits bestehende technische System der Überwachung in den Lagern wird damit noch weiteren Behörden zugänglich gemacht. Schon jetzt verlangen die Bezirksregierungen, denen die Landeslager unterstehen, von den in der Einrichtung tätigen Betreuungsverbänden die tagesgenaue elektronische Anwesenheitserfassung der dort untergebrachten Menschen. Wer einen Tag lang nicht in der Unterkunft registriert wird, soll von Seiten der Betreiber direkt an die Bezirksregierung gemeldet werden. Auch ob jemand sein Essen in der Unterkunft in Anspruch nimmt, wird bereits technisch erfasst.
Sondersitzungen im Landtag
Am heutigen Donnerstag, 29. August 2024, gibt es
eine Sonderausschusssitzung von Innen- und Integrationsausschuss im Landtag geben. Fluchtministerin Paul und Innenminister Reul sollen
weitere Antworten geben. Am Freitag, 30. August 2024 soll zudem auf Antrag der Landesregierung das Landtagsplenum in einer Sondersitzung tagen. Die FDP-Fraktion hat bereits angedeutet, dass sie die Beantragung
eines Untersuchungsausschuss in Betracht zieht.
© + Kontakt: Abschiebungsreporting NRW-Komitee für Grundrechte und Demokratie e.V., Köln - Sebastian Rose
Telefon 0221 / 972 69 32 - Mobil 01575 / 40 35 862 - E-Mail: rose@abschiebungsreporting.de - www.abschiebungsreporting.de
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