Presseerklärung                                                  6. November 2024

Bundesregierung beschließt größte Asylrechtsverschärfungen seit Jahrzehnten


PRO ASYL kritisiert den am heutigen Mittwoch beschlossenen Gesetzentwurf zur Umsetzung der Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS) scharf. Der Entwurf überschreitet die von der Europäischen Union geforderten Mindeststandards erheblich, entrechtet Geflüchtete massiv und verhindert faire Asylverfahren.

"Die Bundesregierung hat mit dem vorliegenden Gesetzentwurf verpasst, die Menschenrechte zu achten und rechtsstaatliche Standards zu wahren. Der Entwurf beinhaltet die größten Asylrechtsverschärfungen seit Jahrzehnten, es droht Haft von Familien und Kindern - wie weit soll die Entrechtung von schutzsuchenden Menschen noch gehen?", kritisiert Tareq Alaows, flüchtlingspolitischer Sprecher von PRO ASYL.

PRO ASYL fordert: "Die Bundesregierung muss den Gesetzentwurf im Lichte der Menschenrechte überarbeiten, die von der EU gewährten Ermessensspielräume im Sinne des Schutzes von Asylsuchenden nutzen sowie faire und rechtsstaatliche Verfahren unter menschenwürdigen Bedingungen gewährleisten."

Freiheitsbeschränkungen und neue Haftformen

Obwohl die EU-Vorgaben bereits eine deutliche Verschärfung der Asylpraxis vorsehen, geht der deutsche Gesetzentwurf noch weiter und führt unter dem Deckmantel der GEAS-Umsetzung neue Möglichkeiten der Freiheitsbeschränkung und De-facto-Inhaftierung von Schutzsuchenden ein.

Es drohen geschlossene Zentren, wie es sie bisher in Deutschland noch nicht gibt: Die Flüchtlinge dürfen diese nicht verlassen, teilweise nur, weil sie aus einem bestimmten Herkunftsland kommen. Besonders besorgniserregend ist, dass durch diese Maßnahmen auch Kinder während ihres Asylverfahrens eingesperrt werden könnten. 

Schutzsuchende sollen durch Maßnahmen wie die sogenannte Asylverfahrenshaft massiven Freiheitsbeschränkungen unterworfen werden, die mit internationalen Menschenrechtsstandards nicht vereinbar sind. "Diese Haftformen sind unverhältnismäßig und psychisch extrem belastend. Sie erhöhen das Risiko von Suizidversuchen. Ein faires Asylverfahren ist so  kaum möglich, da Betroffene unter diesen Bedingungen oft nicht in der Lage sind, ihre Fluchtgründe umfassend darzulegen", sagt Tareq Alaows, flüchtlingspolitischer Sprecher von PRO ASYL.

PRO ASYL lehnt geschlossene Zentren und die Asylverfahrenshaft entschieden ab und fordert die Bundesregierung auf, menschenrechtliche Standards zu wahren.

Ausweitung der "sicheren Staaten"-Konzepte: Eine Umgehung demokratischer Prozesse

Mit dem  Gesetzentwurf sollen zudem die  Konzepte "sicherer Herkunftsstaaten" und "sicherer Drittstaaten" massiv ausgeweitet werden, was durch die Vorgaben aus Brüssel nicht zwingend geboten ist. Künftig soll die Bundesregierung  ohne Beteiligung des Bundestags und Bundesrats eigenmächtig per Rechtsverordnung festlegen können, welche Länder als "sicher" gelten. Damit droht, ein wichtiger demokratischer Kontrollmechanismus  umgangen zu werden.

"Der Entwurf erlaubt der Bundesregierung, Länder ohne parlamentarische Debatte als ‚sicher‘ einzustufen. Das ist verfassungsrechtlich bedenklich und politisch gefährlich, da Menschen in unsichere Staaten geschickt werden könnten, ohne dass die menschenrechtliche Lage ausreichend geprüft wird", warnt Tareq Alaows, flüchtlingspolitischer Sprecher von PRO ASYL. Besonders der Bundesrat hat bisher als wichtiges Korrektiv gedient, um voreilige Entscheidungen zu verhindern.

PRO ASYL sieht in der Ausweitung der "sicheren Staaten"-Konzepte eine unverhältnismäßige Einschränkung des Rechts auf ein faires Asylverfahren. Die Einstufung eines Landes als "sicher" muss einer gründlichen menschenrechtlichen Prüfung unterzogen werden, die durch die geplanten Änderungen nicht mehr gewährleistet ist. Statt der angestrebten Harmonisierung droht ein Labyrinth paralleler Verfahren zur Einstufung als "sicher", wobei die strengeren Vorgaben des Grundgesetzes unterlaufen werden können.  

Menschenrechte müssen Priorität haben

Bereits im Juli 2024 hatte PRO ASYL gemeinsam mit 25 Organisationen Vorschläge für eine menschenrechtskonforme Umsetzung der GEAS-Reform unterbreitet. Im Oktober reichte PRO ASYL  zudem eine umfassende Stellungnahme zum Referentenentwurf beim Bundesinnenministerium ein, die verfassungsrechtliche und menschenrechtliche Probleme benennt.

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3.11.2024 ---                                       PDF- Präsentation zu 

Neuer Leistungsausschluss in Dublin-Fällen im AsylbLG.

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3.11.2024 ---                                       Power-Point Präsentation zu 

Neuer Leistungsausschluss in Dublin-Fällen im AsylbLG.

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Leistungsstreichungen für Dublin-Geflüchtete in Kraft,

Leistungskürzungen für alle ab 2025

 

Mit diesen Kürzungen fährt die Ampelkoalition einen Angriff auf die Sozialen Rechte Geflüchteter, der in seinem Ausmaß alle bisherigen Verschärfungen in den Schatten stellt. Selbst die Große Koalition mit Horst Seehofer hat kein so umfassendes Entrechtungsprogramm gewagt. Es ist dies Ausdruck einer dramatischen Verrohung und Radikalisierung der bürgerlichen Mitte, die Schritt für Schritt nun das umsetzt, was die Rechtsextremist*innen schon immer forderten.

1.    Vertreibung durch Aushungern von Dublin-Geflüchteten

Die Änderung des § 1 Abs. 4 AsylbLG als Teil des völlig zu Unrecht so genannten „Sicherheitspakets“ ist am 30.10.24 im Bundesgesetzblatt veröffentlicht worden und damit heute in Kraft getreten. Was die staatlich produzierte Verelendung einer Menschengruppe auch nur im Entferntesten mit „Sicherheit“ zu tun haben soll, ist unerklärlich. Die Regelung in Kürze:

Menschen sollen nur noch für zwei Wochen Anspruch auf gekürzte AsylbLG-Leistungen (im Umgang von § 1a AsylbLG) und danach normalerweise gar keinen Anspruch mehr haben, wenn

  • sie vollziehbar ausreisepflichtig sind, die Ausländerbehörde ihnen (in der Regel rechtswidrig) aber keine Duldung erteilt (leistungsberechtigt nach § 1 Abs. 1 Nr. 5 AsylbLG).
    • Der Leistungsausschluss gilt daher nicht für Personen mit Aufenthaltsgestattung (leistungsberechtigt nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 bzw. 1a; die bisherige Kürzung nach § 1a Abs. 7 für diese Personen ist gestrichen worden).
    • Und auch nicht für Personen mit Duldung (leistungsberechtigt nach § 1 Abs. 1 Nr. 4). Und
  • eine Unzulässigkeitsentscheidung nach § 29 Absatz 1 Nummer 1 in Verbindung mit § 31 Absatz 6 AsylG (Dublin-Bescheid) erlassen wurde und
  • eine Abschiebungsanordnung gem. § 34 Abs. 1 S. 1 AsylG (nicht: Abschiebungsandrohung!) erlassen wurde und
  • wenn „nach der Feststellung des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge die Ausreise rechtlich und tatsächlich möglich ist“ (was immer diese Feststellung genau bedeuten soll).

Nur in besonderen Härtefällen müssen nach zwei Wochen weiterhin Leistungen für das rein physische Existenzminimum erbracht werden. Normalerweise dürfen nach den zwei Wochen jedoch noch nicht einmal Unterkunft, Ernährung oder Gesundheitsversorgung sichergestellt werden. Und selbst in Härtefällen sind das gesamte soziale Existenzminimum und die Zusatzleistungen insbesondere für schutzbedürftige Personen nach § 6 AsylbLG (Hilfe zur Pflege, Leistungen der Eingliederungshilfe usw.) ausgeschlossen! Ausnahmen bestehen für die „besonderen Bedürfnisse von Kindern“.

Hier gibt es eine Powerpoint-Präsentation mit dem neuen Gesetzeswortlaut und einer ersten Einschätzung sowie mit Praxishinweisen: als ppt und als pdf.

In der Beratung sollte in allen Fällen eines Leistungsausschlusses Rechtsmittel eingelegt werden (Widerspruch, Klage und Eilantrag beim Sozialgericht). Dabei sollte auch stets auf die Härtefallregelung und die individuelle Situation eingegangen werden. Die Regelung verletzt erkennbar die Verfassung, aber auch andere Rechtsvorschriften, wie die EU-Aufnahmerichtlinie, die EU-Grundrechtecharta, die UN-Kinderrechtskonvention und die UN-Behindertenrechtskonvention, weil

  • Dublin-Geflüchtete die Ausreise nicht selbst in der Hand haben,
  • das soziale und physische Existenzminimum grundsätzlich zu jeder Zeit sichergestellt sein muss,
  • zumindest Unterkunft, Ernährung und Hygiene auch aufgrund der EU-Grundrechtecharta niemals gestrichen werden dürfen,
  • insbesondere für Kinder und andere schutzbedürftige Personen das gesamte Existenzminimum inklusive einer uneingeschränkten Gesundheitsversorgung und unabhängig von einer Härte gesichert sein muss,
  • die Wohnpflicht des § 47 AsylG unabhängig von einem Leistungsanspruch gilt,
  • Obdachlosigkeit auch aufgrund des Ordnungsrechts verhindert werden muss.

2.    Kürzung des AsylbLG-Regelsatzes für alle ab 2025

Die Bundesregierung hat beschlossen, den Regelsatz für Menschen im Grundleistungsbezug nach § 3 AsylbLG im Jahr 2025 zu kürzen. Im Gegensatz zu den Leistungen nach SGB II, SGB XII und den Analogleistungen nach § 2 AsylbLG sollen die Regelsätze nicht eingefroren bleiben, sondern um 13 bis 19 Euro sinken. Begründet wird dies vom sozialdemokratisch geführten BMAS formal damit, dass eine Bestandsschutzregelung für den Leistungsbezug nach § 3 AsylbLG nicht vorgesehen sei.

 

 

In der folgenden Tabelle wird nicht nur die vierprozentige Kürzung existenzsichernder Sozialleistungen deutlich. Sondern auch, dass die Schere zwischen „normalen“ Sozialleistungen und denjenigen für Geflüchtete noch weiter auseinander geht. Dafür sorgt gleich eine ganze Latte von Maßnahmen, die im AsylbLG von der Ampelkoalition beschlossen wurden oder noch geplant sind:

  • Verlängerung des niedrigeren Grundleistungsbezugs von 18 auf 36 Monate
  • Verschärfung der Regelungen zu verpflichtenden Arbeitsgelegenheiten
  • Einführung der diskriminierenden Bezahlkarte
  • Geplante Leistungskürzungen für Personen, die sich in Aufnahmeeinrichtungen nicht „wohlverhalten“.
  • Geplante Streichung des Kindersofortzuschlags im AsylbLG
  • Verfassungswidrige zehnprozentige Kürzung für Alleinstehende in Gemeinschaftsunterkünften ist immer noch nicht aus dem Gesetz gestrichen.

Wir reden hier also über eine Politik der Ungleichmachung. Und wir reden darüber, dass entgegen aller formaljuristischen Argumentationen die Begründung für Sozialabbau zunehmend mit rassistischen Narrativen aufgeladen wird. Es geht ja erst mal nur gegen „die Ausländer“. Aber: Es wird nicht lange dauern, bis diese Argumentation auch für weitere Verschärfungen und Kürzungen in anderen Bereichen wie dem Bürger*innengeld herhalten muss.

Hier sind die neuen Sätze in einer Übersicht über die alten und neuen Regelsätze:


Asylgesetz: Örtliche Zuständigkeit von Verwaltungsgerichten geändert!

(Örtlich) Zuständig für Streitigkeiten nach dem Asylgesetz und damit auch für Klagen gegen Asylbescheide ist in der Regel das Verwaltungsgericht, in dessen Bezirk die Geflüchteten ihren Aufenthalt zum Zeitpunkt der Klageerhebung aufgrund einer behördlichen Zuweisungsentscheidung nehmen müssen (§ 52 Nr. 2 Satz 3 Halbs. 1 VwGO). Den Ländern ist es jedoch gestattet, Asylverfahren bestimmter Herkunftsstaaten - unabhängig vom Aufenthalts- bzw. Wohnort der Betroffenen - bei einem oder mehreren Verwaltungsgerichten zu konzentrieren, sofern dies für die Verfahrensförderung sachdienlich (§ 83 Abs. 3 AsylG).

Das Land Niedersachsen hat von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht, "um eine noch weitergehende Spezialisierung und Verfahrensbeschleunigung zu erreichen." Seit dem 01. September 2024 werden asylgerichtliche Verfahren von Menschen aus sog. sicheren Herkunftsstaaten (Albanien, Bosnien und Herzegowina, Georgien, Ghana, Kosovo, Mazedonien, ehemalige jugoslawische Republik, Montenegro, Republik Moldau, Senegal, Serbien) sowie aus Kolumbien und der Elfenbeinküste - unabhängig davon, wo in Niedersachsen diese sich zum Zeitpunkt der Klageerhebung tatsächlich aufhalten (müssen) - bestimmten Verwaltungsgerichten zugewiesen.

Der Flüchtlingsrat Niedersachsen kritisiert diese Neuregelung.

So ist es bereits zweifelhaft, ob die Konzentration von Asylerfahren überhaupt geeignet ist, die Verfahrensdauer signifikant zu verkürzen. Vielmehr birgt die Konzentration der Asylverfahren aus Sicht des Flüchtlingsrats die Gefahr, dass die jeweils zuständigen Gerichte (noch weiter) überlastet werden. Darüber hinaus droht die Diversität der Rechtsprechung in Bezug auf die in Rede stehenden Herkunftsstaaten (noch weiter) verloren zu gehen.

Denn bislang haben grundsätzlich sämtliche sieben niedersächsischen Verwaltungsgerichte über Asylklagen von Menschen aus sicheren Herkunftsländern entschieden. Nunmehr sind ausschließlich die fünf Verwaltungsgerichte in Göttingen, Lüneburg, Hannover, Oldenburg und Osnabrück mit derartigen Verfahren befasst, wobei jedes Herkunftsland lediglich zwei Gerichten zugewiesen ist und die Zuständigkeit der Verwaltungsgerichte in Oldenburg und Osnabrück sich auf Kolumbien bzw. Georgien beschränkt. Den Verwaltungsgerichten in Braunschweig und Stade wurde die Zuständigkeit für Verfahren von Asylsuchenden aus sog. sicheren Herkunftsstaaten gänzlich entzogen.

Von der Ermächtigung, die Zuständigkeit hinsichtlich bestimmter Herkunftsstaaten zu konzentrieren, haben vor Niedersachsen bereits die Länder Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern und Thüringen Gebrauch gemacht. In Sachsen-Anhalt wurde eine entsprechende Regelung hingegen mittlerweile wieder aufgehoben.

20.9.2024 - © Flüchtlingsrat Niedersachsen e.V. - Röpkestr. 12 - 30173 Hannover

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Immer wieder werden wir darauf angesprochen, dass Flüchtlinge nicht arbeiten würden, viel Geld bekommen würden etc.

 

Hier eine Aufstellung der Fakten!

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Trotz allem: Auf die Solidarität Deutschlands kann man stolz sein!

 

Ja, es gibt sehr viele, zu viele Dinge, die verbesserungswürdig sind!

Aber sehr Vieles wird grundsätzlich geleistet! 

 

  • 900.000 "Weltflüchtlinge" (Alle Flüchtlinge außer aus der Ukraine) haben 2023 in Europa Schutz gesucht.

·       Leider sind diese nur von 3 Ländern aufgenommen worden - entgegen den Vereinbarungen

  • Deutschland ist eines dieser Hauptaufnahmeländer

      (Über 60 % der hier lebenden Flüchtlinge sind bereits berufstätig)

  • Polen und Tschechien "reichen" die Flüchtlinge direkt in andere europäische Staaten weiter
  • In Niedersachsen lebten zum Stichtag 31.12.2022 in etwa 

    ·       253.000 Geflüchtete, die ca. 3%der Bevölkerung  in Niedersachsen ausmachen.

    ·       davon sind 25% unter 18 Jahren alt

     

    ·       Ukrainische Geflüchtete (ca. 110.000) machen etwa 1,4% der gesamten Bevölkerung Niedersachsens aus. Nach wie vor ist der Anteil der Geflüchteten an der Gesamtbevölkerung also eher gering.

    ·   davon sind 40000 unter 18 Jahren alt

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27 Organisationen, darunter der Flüchtlingsrat Mecklenburg-Vorpommern e.V. haben einen Appell an die Bundesregierung verfasst und unterzeichnet, der auffordert Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit in Europa zu verteidigen:

Flüchtlingsschutz ist Teil unserer demokratischen Werte – Forderungen nach Zurückweisungen ablehnen, Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte in Europa verteidigen

Wir alle wollen in einer Gesellschaft leben, die uns schützt, unterstützt und in der wir respektiert werden. Deswegen sind die Säulen unserer Gesellschaft Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte. Sie schützen jeden von uns und wir müssen sie schützen. Die Vielfalt unserer Gesellschaft – von Ideen zu Gedanken, von Herkunft zu Identität – ist unsere Stärke. Für die Rechte aller Menschen in unserer Gesellschaft einzutreten, stärkt auch unsere eigenen Rechte. Die aktuellen Debatten um asylrechtliche Verschärfungen widersprechen diesem Selbstverständnis.

Das Recht, in Deutschland und Europa Schutz vor Menschenrechtsverletzungen zu suchen, gehört nach den Erfahrungen des Zweiten Weltkriegs zur DNA unserer Demokratie. Nach Deutschland geflüchtete Menschen sind Teil unserer Gesellschaft: Sie arbeiten und engagieren sich hier, ziehen ihre Kinder hier groß und gehören hierher. Fehlverhalten einzelner darf niemals dazu führen, dass pauschal bestimmte Gruppen von Menschen stigmatisiert, rassifiziert und als nicht zugehörig markiert werden. Wir lassen uns nicht spalten.

Damit stellen wir uns gegen politische Kräfte, die ein Interesse an Spaltung und Verunsicherung haben. In verschiedenen Ländern der EU haben wir den Fahrplan autoritärer Politiker*innen gesehen: Mit einem “Wir gegen die Anderen” wird gegen bestimmte gesellschaftliche Gruppen Stimmung gemacht. Gehetzt wird gegen queere Personen, eingewanderte oder rassifizierte Menschen, Arbeitslose, Menschen mit Behinderung und andere gesellschaftliche Gruppen. Gewalt an den Grenzen – selbst gegen Kinder – wird normalisiert. Gleichzeitig werden die Institutionen des Rechtsstaats angegriffen – von der Unabhängigkeit der Justiz bis zur Arbeit von Anwält*innen. Eine solche Entwicklung lassen wir in Deutschland nicht noch einmal zu. Demokratische Parteien müssen hierfür an einem Strang ziehen, um den Versuchen der Spaltung den Zusammenhalt der Gesellschaft entgegenzustellen.

Das Asylrecht dient als erstes Ziel einer Politik, die zunehmend Menschenrechte infrage stellt. Dies zeigt sich an der aktuellen Debatte. Vorschläge wie Zurückweisungen von Schutzsuchenden an deutschen Grenzen verstoßen eindeutig gegen europäisches Recht und menschenrechtliche Grundprinzipien. In vielen EU-Ländern droht Asylsuchenden ein Leben auf der Straße, Verelendung und willkürliche Haft. Aus diesen Gründen verbieten deutsche Gerichte immer wieder entsprechende Abschiebungen. Das macht deutlich: Es muss in jedem Einzelfall geprüft werden, ob eine Abschiebung rechtens ist. Das gehört zu unserem Rechtsstaat und kann nicht ad hoc an der Grenze entschieden werden. Es gibt auch keine nationale Notlage, die ein Hinwegsetzen über diese Grundsätze rechtfertigen könnte.
Handlungsfähigkeit beweist sich durch realistische, wertegeleitete und rechtskonforme Politik. Anstatt sich zu stets neuen Verschärfungen treiben zu lassen, muss die Bundesregierung für ein Europa der Rechtsstaatlichkeit und der Menschenrechte einstehen. Für alle Menschen.

 

 

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Presseerklärung      7. September 2024

 

PRO ASYL entsetzt über Konkretisierung des Sicherheitspakets

PRO ASYL fordert die Abgeordneten der Ampel-Koalition im Bundestag auf, den Gesetzentwurf abzulehnen. Die Neuregelungen sollen als Formulierungshilfe am Montag in den Bundestag eingebracht werden.

"Eine Leistungskürzung auf Null ist der Versuch einer perfiden Abschreckungspolitik, die einem sozialdemokratischen Kanzler unwürdig ist. Landen Asylsuchende nach der Dublin-Ablehnung nun auf der Straße? Diese Verletzung der Menschenwürde wäre der bisherige Tiefpunkt der Ampel-Regierung, die sich von der CDU unnötig treiben lässt", kommentiert Wiebke Judith von PRO ASYL.

Die heute bekannt gewordene Konkretisierung des Sicherheitspakets bestätigt die schlimmsten Befürchtungen von PRO ASYL. Mit einem kompletten Leistungsausschluss für Dublin-Fälle verstößt die Bundesregierung sehenden Auges gegen das Grundgesetz. Denn sie weiß: Grundsätzlich stößt jede zusätzliche Kürzung der eh schon geringen Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz auf erhebliche verfassungsrechtliche Bedenken. Zudem scheitern die meisten Dublin-Überstellungen an den anderen Mitgliedstaaten oder den deutschen Behörden (neue Zahlen hierzu in der BT-Drucksache 20/12313) – auch nach der Zustimmung des entsprechenden Mitgliedstaates. 
Und den Betroffenen selbst ist es in der Regel nicht erlaubt, selbstständig in den zuständigen EU-Staat zurückzukehren – sie sind darauf angewiesen, von deutschen Behörden zurückgeführt zu werden. Ihre Leistungen dann auf Null zu setzen, obwohl sie ihre Situation nicht mehr ändern können, ist mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht vereinbar. Die Sozialgerichte werden mit Sicherheit diesen Angriff gegen die Menschenwürde nicht akzeptieren.
Hier 
hat PRO ASYL die geplante Leistungskürzung kommentiert und rechtlich eingeordnet.

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Nach Anschlag von Solingen:

Die nächste entgrenzte Abschiebedebatte: Ein Faktencheck

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Drei Tote und acht teils schwerst verletzte Menschen, darunter mindestens ein Geflüchteter – das Abschiebungsreporting NRW trauert um die Opfer des Angriffs von Solingen und ist in Gedanken bei den Angehörigen und Freund:innen. Ein Angriff auf ein Stadtfest, das die Geschichte der Stadt und auch bewusst die Vielfalt feiern wollte, erschüttert. Die Hintergründe werden jetzt aufgeklärt. Der Tatverdächtige wurde am Samstag festgenommen und befindet sich in Untersuchungshaft. Gegen ihn wird unter anderem wegen Mordes und „Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung im Ausland“ ermittelt. Der sogenannte Islamische Staat hat die Tat für sich reklamiert.

Weil es sich bei dem Tatverdächtigen um einen syrischen Staatsangehörigen handelt und dieser über Bulgarien nach Deutschland eingereist ist, wurde die Trauer um die Opfer bereits wenige Stunden nach der Tat politisch überlagert von immer neuen Forderungen nach Gesetzesverschärfungen, nach mehr Abschiebungen, nach mehr Abschiebehaft, nach der vollständigen Aussetzung des Asylrechts für bestimmte Gruppen sowie nach umfassenden Kontrollen an den deutschen Außengrenzen. Auch der vollständige Sozialleistungsentzug für bestimmte Gruppen wird gefordert. Ganze Bevölkerungsteile werden seither rassistisch in Mithaftung für einen mutmaßlichen Mörder genommen und unter Generalverdacht gestellt. Syrer:innen und Afghan:innen wird pauschal die Schutzbedürftigkeit abgesprochen. Dabei sind doch viele von ihnen gerade vor dem islamistischen Terror geflohen, der jetzt dem Tatverdächtigen vorgeworfen wird. Teils wird die Tat auch für den laufenden Wahlkampf in drei Bundesländern missbraucht. Über Deradikalisierung, Präventions- und Bildungsarbeit oder notwendige Maßnahmen gegen islamistische Propaganda im Netz wird dagegen deutlich weniger gesprochen.

Wie schon vorherige islamistische Attentate löst auch die terroristische Gewalttat von Solingen die immer gleichen Reflexe aus, einfache Lösungen für komplexe Herausforderungen werden propagiert, angetrieben von den Rechtsaußenparteien, aber befördert auch von den Parteien der Mitte, angefeuert aber auch von Zeitungen wie BILD und WELT sowie einer vielfach entgrenzten, rassistischen und menschenverachtenden Debatte auf den Social Media-Kanälen.

Die zahlreichen Fehlinformationen und die Debatte, in der Abschiebung, Abschottung und rassistische Vorurteile gegenüber Geflüchteten dominieren, erfordern eine politische und rechtliche Einordnung. Angesichts der unzähligen erhobenen politischen Forderungen ist die Übersicht auf die zentralsten das Abschiebungsreporting NRW betreffende Themen begrenzt.

Forderungen nach Abschiebungen nach Afghanistan und Syrien. Ein Diskurs voller Falschinformationen

Friedrich Merz, Parteivorsitzender der CDU und Oppositionsführer im Bundestag, forderte bereits am Sonntag, nicht einmal 48 Stunden nach der Tat, erneutAbschiebungen nach Afghanistan und Syrien. Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Hendrik Wüst pflichtete ihm bei. Merz forderte zudem, keine weiteren Geflüchteten aus diesen beiden Ländern aufzunehmen und sprach ihnen damit pauschal den Zugang zu einem ergebnisoffenen rechtsstaatlichen Asylverfahren ab. Zudem sollen laut Merz „ausreisepflichtige Straftäter zeitlich unbegrenzt in Abschiebegewahrsam“ genommen werden. Merz nutzt damit den Anschlag von Solingen für Forderungen, die gegen das Grundgesetz verstoßen und zudem völkerrechtswidrig sind. Auch Bundeskanzler Olaf Scholz kündigte erneut an, dass auch Abschiebungen nach Afghanistan und Syrien erfolgen sollen.

Was aber würden solche Forderungen in der Praxis bedeuten und wie sind sie rechtlich einzuordnen?

  1. Für Abschiebungen nach Afghanistan und Syrien, die Bundeskanzler Scholz bereits nach dem Angriff von Mannheim im Mai 2024 ankündigte, müsste die Bundesregierung zum einen mit den Taliban, zum anderen mit dem syrischen Diktator Assad verhandeln, gegen den ein Haftbefehl aus Frankreich wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit vorliegt. Scholz hat bereits angedeutet,dass es solche Gespräche mit den Taliban gibt bzw. geben wird. Dies würde auch bedeuten, dass es Deals mit den Machthabern in Afghanistan und Syrien geben müsste. Die Frage steht im Raum, ob die Bundesregierung diesen Machthabern Geld anbieten wird, um zu kooperieren. In jedem Fall würden sie damit international diplomatisch deutlich aufgewertet, trotz ihrer verheerenden menschenrechtlichen Bilanz.
  2. Afghanistan und Syrien sind nicht sicher. Abschiebungen in die beiden Länder verstoßen gegen internationales Völkerrecht. Deutschland darf
    gemäß Art. 3 EMRK und Art. 4 EU-Grundrechtecharta niemanden in ein Land bringen, in dem dieser Person unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung oder Folter droht. Das gilt auch für vorbestrafte Menschen. Zudem: Abschiebungen von vorbestraften Menschen sollen immer auch ein Tor öffnen, um zukünftig weitere Personengruppen in die beiden Länder abschieben zu können. Dies zeigt die Erfahrung der vergangenen Jahre. Mittlerweile wird in der politischen Debatte die Eingrenzung auf vorbestrafte Menschen teils auch gar nicht mehr erhoben. Damit werden zudem über 1,3 Millionen in Deutschland lebende Menschen aus diesen beiden Ländern stark verunsichert und haben Sorge, ihnen könnte ihr Status wieder aberkannt werden und zukünftig eine Abschiebung drohen.
  3. Erneut wird in der Debatte auch ein seit Wochen vielfach falsch wiedergegebenes Urteil des Oberverwaltungsgerichts Münster vom Juli 2024 zur Lage in Syrien (Az. 14 A 2847/19.A) angeführt, das angeblich Abschiebungen nach Syrien wieder ermögliche. Auch Ministerpräsident Hendrik Wüst behauptete am Sonntag in der Aktuellen Stunde des WDR fälschlicherweise, diese Gerichtsentscheidung sei eine Grundlage für Abschiebungen nach Syrien und forderte einen neuen Lagebericht des Auswärtigen Amtes. Dabei ging es in dem OVG-Verfahren um die rechtliche Frage, ob dem dortigen Kläger, der zuvor in Österreich zu einer Freiheitsstrafe verurteilt worden war, in Deutschland der Flüchtlingsschutz oder der subsidiäre Schutz zugesprochen werden solle. Beides verneinte das OVG. Der Kläger hatte vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge im behördlichen Verfahren allerdings bereits ein Abschiebungsverbot zugesprochen bekommen, weil eine Abschiebung ein Verstoß gegen die Europäische Menschenrechtskonvention bedeuten würde. Um die Frage von Abschiebungen nach Syrien ging es in dem Gerichtsverfahren also nie. Weil aber das Oberverwaltungsgericht in seinerPresseveröffentlichung zu der Entscheidung nicht erwähnt hatte, dass der Kläger schon einen Schutzstatus hatte, und das Gericht das Urteil selbst erst drei Tage später veröffentlichte, war der fälschliche Tenor der Berichterstattung im Juli 2024 gesetzt, Abschiebungen nach Syrien seien wieder möglich. Auch wenn das weder rechtlich noch praktisch zutrifft, wird auf dieses Urteil in der Debatte nach dem Anschlag von Solingen immer wieder Bezug genommen.
  1. Wenn Menschen aus Afghanistan und Syrien in Deutschland grundsätzlich keinen Schutz mehr erhalten sollen, müsste Deutschland dafür nicht nur das Grundgesetz und das Europarecht ändern, sondern auch aus der Europäischen Menschenrechtskonvention sowie der Genfer Flüchtlingskonvention austreten. Zentrale Errungenschaften des internationalen Völkerrechts, die auch als eine Reaktion auf den Zweiten Weltkrieg verabschiedet worden sind, wären fortgewischt.
  2. Selbst wenn Deutschland und andere EU-Staaten seit Jahren wieder nach Syrien abschieben würden, wäre der Terroranschlag von Solingen nach allen bislang zur Verfügung stehenden Informationen nicht durch eine solche Abschiebung verhindert worden. Denn schließlich war der Attentäter den Behörden weder als islamistischer Gefährder bekannt noch war er vorbestraft. Wann er sich radikalisiert haben könnte, ist bislang nicht öffentlich bekannt. Wäre der Attentäter stattdessen im Rahmen des Dublin-Verfahrens nach Bulgarien abgeschoben worden, hätte er dort sein Asylverfahren durchlaufen und wahrscheinlich auf Basis der Situation in Syrien einen Schutzstatus erhalten. Dann hätte die Gefahr eines Anschlags in Bulgarien bestanden.

Forderung nach einem zeitlich unbegrenzten „Abschiebegewahrsam“

Auch die Forderung nach einem zeitlich unbegrenzten „Abschiebegewahrsam“ ist populistisch und tritt den Rechtsstaat mit Füßen. Sie verstößt gegen Verfassungs- und Europarecht. Maßstäbe dafür legen die Art. 15ff. EU-Rückführungs-Richtlinie fest. Erst jüngst hat die Ampel-Mehrheit im Bundestag zudem mit dem Hau-Ab-Gesetz 3 (dem sogenannten Rückführungsverbesserungsgesetz) die Möglichkeiten für Abschiebehaft und Ausreisegewahrsam erweitert und verschärft. Doch es ist ein Irrglaube, die Inhaftierung vor Abschiebungen würde nur vorbestrafte Menschen betreffen. Aus der Praxis der Dokumentationen des Abschiebungsreporting NRW ist bekannt, dass viele Menschen in Abschiebehaft genommen werden, ohne dass sie jemals Straftaten verübt haben oder als Gefährder gegolten haben.

Auch Menschen mit Vorstrafen sind natürlich selbst Träger von Grundrechten und ihnen kann nicht zeitlich unbegrenzt die Freiheit entzogen werden, sofern eine Abschiebung überhaupt noch nicht konkret im Raum steht oder eine Strafhaft bereits vollzogen worden ist. Unbegrenzten Freiheitsentzug auf Vorrat gibt es in einem Rechtsstaat nicht. Zudem halten sich die staatlichen Stellen schon bisher vielfach nicht an die selbst gesetzten Regeln. Verhängte Abschiebehaft erweist sich nachträglich sehr häufig als rechtswidrig, auch in Nordrhein-Westfalen. Eine transparente Statistik der Landesregierung gibt es auch dazu jedoch nicht. Im vergangenen Jahr hat NRW knapp 1.400 Menschen im Abschiebegefängnis Büren inhaftiert. Zudem werden regelmäßig Frauen und weiblich gelesene Personen aus NRW im Abschiebegefängnis Ingelheim in Rheinland-Pfalz inhaftiert.

Ungenaue Berichterstattung in verschiedenen Medien

Die Forderungen nach mehr Abschiebehaft werden auch durch ungenaue Berichterstattung begünstigt. So behauptete der SPIEGEL bereits zwei Tage nach dem Anschlag, nachdem die ersten Informationen über das frühere Asylverfahren des tatverdächtigen Mannes und über einen gescheiterten Abschiebeversuch nach Bulgarien bekannt geworden waren: „Eine Ausschreibung zur Festnahme unterblieb wohl, offenbar, weil al H. als unauffällig galt und es ohnehin kaum ausreichend Abschiebehaftplätze gibt.“

Andere Medien übernahmen diese Darstellung des SPIEGEL. Die nordrhein-westfälischen Behörden hatten den tatverdächtigen Mann im Juni 2023 in einem Landeslager in Paderborn aufgesucht, um ihn auf Grundlage der Dublin-Verordnung nach Bulgarien abzuschieben. Sie hatten ihn allerdings nicht angetroffen.

Die Behauptung in den Presseberichten, es gäbe „kaum ausreichend Abschiebehaftpätze“, trifft für Nordrhein-Westfalen keineswegs zu. Das Bundesland hat das bundesweit größte Abschiebegefängnis in Büren (Kreis Paderborn), das 175 Plätze hat und das nach Angaben der Landesregierung im Jahr 2023 monatlich durchschnittlich mit 70 Menschen belegt war. Aufgrund der Größe von Büren hat die Landesregierung im Dezember 2023 Pläne für ein weiteres Abschiebegefängnis in Düsseldorf aufgegeben.

Auch das Geraune mancher Journalist:innen, der Tatverdächtige habe in seinem Asylverfahren sehr genau gewusst, was rechtlich zu tun sei, befremdet. Der Rechtsstaat mit all seinen Garantien steht allen Menschen zu. Bis dato ist nicht bekannt, ob der Tatverdächtige bereits radikalisiert nach Deutschland gekommen ist, vielleicht sogar geschickt worden ist, oder ob erst hier angeworben bzw. radikalisiert worden ist. Dass er Rechtsmittel gegen eine Abschiebung nach Bulgarien auf Grundlage der Dublin-III-Verordnung suchte, ist ein ziemlich normaler, alltäglicher Vorgang in Asylverfahren, gibt es doch seit Jahren vielfache Berichte über Misshandlungen und Menschenrechtsverletzungen im bulgarischen Asylsystem. Hier ein strategisches Verhalten zu beklagen und zugleich anzudeuten, dass Menschen im Asylverfahren solcherlei rechtsstaatliche Garantien gar nicht benötigen würden, ist unredlich, werden doch erneut alle anderen Schutzsuchenden indirekt mit in Mithaftung genommen für die Tat eines Einzelnen. Auch dass ein Asylantragsteller eine Anwältin in einem anderen Bundesland zu Rate zieht, ist angesichts des Mangels geeigneter Anwält:innen ein völlig normaler Vorgang. Mittlerweile hat sich die Dynamik der Debatte allerdings bereits weiterentwickelt und stellt auch Beratungsstellen und NGOs mit unter Generalverdacht. Ministerpräsident Wüst sprach der Westfalenpost zufolge von „Schlupflöchern im Asylsystem,die ausgenutzt werden von fachkundig beratenen Leuten“Erinnerungen an die frühere Kampagne gegen eine vermeintliche „Anti-Abschiebe-Industrie“ werden wach. Dabei ist völlig klar: Menschen
im Asylverfahren haben Rechte. Und dazu zählt auch die Unterstützung von Beratungsstellen und Anwält:innen. Nur weil einzelne Menschen später Straftaten begehen oder sich als islamistische Terroristen erweisen, kann dies nicht zur Folge haben, die Rechte aller Schutzsuchenden in Frage zu stellen bzw. zu beschneiden.

Vizeministerpräsidentin Neubaur und Fluchtministerin Paul wollen Dublin-III-Verordnung konsequent umsetzen

Der Verweis auf ein dysfunktionales Dublin-System und ein vermeintliches „Vollzugsdefizit“ übersieht, dass die Dublin III-Verordnung ein zutiefst unsolidarisches Rechtssystem darstellt, mit dem die Verantwortung für Schutzsuchende einseitig auf die EU-Außengrenzen verlagert wird. Soziale Bezüge von Menschen finden hingegen keine hinreichende Berücksichtigung. Die Menschenrechtsverletzungen in einigen Dublin-Mitgliedstaaten sind zudem so zahlreich, dass viele Abschiebungen schon seit Jahren vor den deutschen Verwaltungsgerichten gestoppt werden. Immer wieder gab es auch richtungsweisende Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs, etwa zu den systemischen Mängeln und Menschenrechtsverletzungen im griechischen oder ungarischen Asylsystem. Manche Staaten, wie zurzeit Italien, nehmen auf Grundlage politischer Entscheidungen seit einiger Zeit auch niemanden zurück.

Seit Jahren ist das bürokratische Dublin-System für Deutschland zudem vielfach ein Nullsummenspiel, schieben doch andere Dublin-Staaten wiederum Menschen auf der gleichen Rechtsgrundlage nach Deutschland ab.

Flucht-Ministerin Josefine Paul und Vizeministerpräsidentin Mona Neubaur betonten jedoch, dass die Umsetzung der Dublin III-Verordnung konsequent erfolgen soll. Der Stadtdirektor von Krefeld Markus Schön forderte im WDR die Zentralisierung aller Dublin-Abschiebungen bei zentralen Behörden des Landes. Rechtsstaatliche Garantien im Dublin-Verfahren werden als „Bürokratie-Wahn“ abgetan. Ministerin Paul befürwortete dagegen eine Verlagerung der kompletten Zuständig für Dublin-Verfahren auf die Bundesebene.

                                                              Erste Ankündigungen der Landesregierung:                                                                
Zentrale Ausländerbehörden sollen auf Anwesenheitsdaten in Landesunterkünften zugreifen können

Flucht-Ministerin Josefine Paul hat am Mittwoch erste Maßnahmen nach dem Angriff von Solingen angekündigt. Es soll weiter tief in die Grundrechte aller Schutzsuchenden eingegriffen werden. So sollen die Zentralen Ausländerbehörden in NRW ihr zufolge zukünftig einen direkten Zugriff auf das Anwesenheitsportal der Landeslager erhalten, damit sie jederzeit vor geplanten Abschiebungen sehen können, wer zum Essen oder Schlafen in den Unterkünften anwesend sei und entsprechende Behördenzugriffe besser planbar seien. Ein entsprechender Erlass der Landesregierung, der dem Abschiebungsreporting NRW bisher nicht vorliegt, soll in dieser Woche an die zuständigen Behörden verschickt worden sein. Derweil bleibt es Behörden aber weiter verboten, Betroffene über Abschiebungstermine zu informieren. Rechtsstaatlich ist dieser Vorschlag problematisch: Ein Rechtsstaat kann nicht einfach die Rechte tausender unbeteiligter Menschen einschränken und faktisch immer geschlossenere Lager aufbauen, nur um einzelne Menschen leichter abschieben zu können. In den Landesunterkünften in NRW lebten Anfang Juni 2024 rund 23.000 Geflüchtete, von denen viele einen Schutzstatus erhalten.

Das in Nordrhein-Westfalen bereits bestehende technische System der Überwachung in den Lagern wird damit noch weiteren Behörden zugänglich gemacht. Schon jetzt verlangen die Bezirksregierungen, denen die Landeslager unterstehen, von den in der Einrichtung tätigen Betreuungsverbänden die tagesgenaue elektronische Anwesenheitserfassung der dort untergebrachten Menschen. Wer einen Tag lang nicht in der Unterkunft registriert wird, soll von Seiten der Betreiber direkt an die Bezirksregierung gemeldet werden. Auch ob jemand sein Essen in der Unterkunft in Anspruch nimmt, wird bereits technisch erfasst.

Sondersitzungen im Landtag
Am heutigen Donnerstag, 29. August 2024, gibt es eine Sonderausschusssitzung von Innen- und Integrationsausschuss im Landtag geben. Fluchtministerin Paul und Innenminister Reul sollen weitere Antworten geben. Am Freitag, 30. August 2024 soll zudem auf Antrag der Landesregierung das Landtagsplenum in einer Sondersitzung tagen. Die FDP-Fraktion hat bereits angedeutet, dass sie die Beantragung eines Untersuchungsausschuss in Betracht zieht.

© + Kontakt: Abschiebungsreporting NRW-Komitee für Grundrechte und Demokratie e.V., Köln - Sebastian Rose
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